Der Konjunktiv ist wie Schokolade, Rotwein oder Gipfeli: Man kann auch ohne leben, aber mit ist schöner. Manche Schriftgelehrte meinen, er markiere die Grenze zwischen den zivilisierten Menschen und allen anderen. Das ist natürlich Schmarrn. So reden Erbsenzähler mit übertriebenem Geltungsdrang. Der Konjunktiv ist ein raffiniertes Wirkungsmittel für fortgeschrittene Schreiber. Jeder versteht ihn, aber nur 5% aller Schreiber (und 1% aller Sprecher) verwenden ihn korrekt. Wenn niemand etwas unternimmt, wird er aus unserer Sprache wohl verschwinden. Das wäre ein Verlust und deshalb starten wir diese Rettungsaktion.

Sie können auch helfen: Machen Sie sich den Konjunktiv zu eigen und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien, per WhatsApp oder E-Mail. (Am besten sofort, sonst gehts vergessen.)

Aber seien Sie gewarnt. Dieser Artikel ist nichts für Dünnbrettbohrer. Wenn Sie den Konjunktiv erobern wollen, brauchen Sie Stehvermögen.

Wozu eigentlich Konjunktiv?

Wahrscheinlich hat die Sprache damit angefangen, zu benennen, was da ist: «Da liegt dein Mammutschnitzel. Guten Appetit!». Kurz darauf mag die Verneinung entstanden sein: «Wir haben kein Mammutschnitzel mehr.» Und dann entdeckte ein gwundriger Kopf zwischen Sein und Nichtsein die weite Welt der (frommen) Wünsche, Träume und Möglichkeiten: «Ich hätte so gern ein Mammutschnitzel».

Und so betrat er das magische Königreich der Brüder Konjunktiv.

Früher bekamen sie oft Besuch. Heute vor allem sonntags, beim Kirchgang: «Dein Reich komme.», «Friede sei mit dir.» oder «Gehet hin in Frieden.».

So klingt der jüngere, der Konjunktiv I. Auf der Strasse trifft man ihn nur noch in festen Redewendungen an: «sei gegrüsst», «lebe wohl» oder «komme, was da wolle». Im Schriftdeutsch begegnet man ihm öfter; vor allem in der indirekten Rede.

Das schauen wir uns mal genauer an.

Ist Udo treu?

Nehmen wir zum Beispiel den Udo. Der hat Stress mit seiner Ute. Früher haben sie sich immer so herzlich umarmt, wenn Udo vom Geschäft nach Hause kam. Aber der Alltag ist gnadenlos und jetzt hocken sie daheim nur noch vorm Fernseher.

Das heisst: Immer öfter hockt Ute allein vorm Fernseher. Anfangs war ihr das recht, weil es dann keinen Streit ums Programm gab. Aber so viele Überstunden? Da stimmt doch etwas nicht. Und war da nicht diese neue Kollegin? Die junge Ursula mit dem übermütigen Lachen und dem kessen Hüftschwung? Ob die wohl auch so lange arbeiten muss?

Ute ist besorgt. Und schon etwas zornig. Sie ruft ihre Mutter Ulrike an. Die wiegelt erst mal ab und fragt:

«Was sagt er denn genau, warum er so spät nach Hause kommt?»

Darauf könnte Ute antworten:

(a) Er sagt immer, dass er später nach Hause kommt, weil er Überstunden machen muss.
(b) Er sagt immer, er würde später nach Hause kommen**, weil er Überstunden machen muss.
(c) Er sagt immer, er komme später nach Hause, weil er Überstunden machen müsse.
(d) Er sagt immer, er käme später nach Hause, weil er Überstunden machen müsste.

Was soll Ute sagen?

Da haben wir sie, die indirekte Rede mit ihren grammatikalischen Gewissensfragen. Welche Variante ist korrekt?

Satz (a) … hört man heute oft. Ute meidet den Konjunktiv (der hier richtig wäre) und weicht auf den Indikativ aus. (Siehe Kasten: «Fachbegriffe der Grammatik» ganz am Schluss.)
Satz (b) … ist ein Konjunktiv mit der Brechstange. Der Konjunktiv mit «würde» ist nur in Ausnahmefällen korrekt. Hier ist er falsch.
Satz (c) … ist korrekter Konjunktiv I. Der passt hier aber nicht ganz, weil die Ute ihrem Udo nicht mehr traut.
Satz (d) … ist Konjunktiv II und der passt hier am besten. Wo etwas wiedergeben und gleichzeitig bezweifelt wird, ist der Konjunktiv II zuständig. Deshalb heisst er bei Insidern auch «Irrealis» (Unwirklichkeitsform).

Verwirrt? Das ändern wir.

Das Beispiel mit Udo und Ute (wir berichten weiter) hat viele Fragen aufgeworfen. Die Antworten werden wir gleich Schritt für Schritt entwickeln.

Anfangs wird Ihnen der Konjunktiv mühsam und verwirrend vorkommen. Das geht vorbei. Lassen Sie sich darauf ein. Lesen Sie diesen Artikel mehrmals, machen Sie Ihre Anfängerfehler, verzeihen Sie sich und erobern Sie das Reich zwischen Sein und Nichtsein.

Konjunktiv: Die Formen

Auf dem Weg zum Konjunktiv müssen Sie zwei Hindernisse überwinden. Sie müssen wissen:

  1. Welche Form (Konjunktiv I oder II) ist wann an der Reihe?
  2. Wie werden die korrekten Formen für Konjunktiv I und II gebildet**?
Die Antworten sind nicht besonders schwierig. Es gibt ein paar Sonderfälle, die die Übersicht erschweren; aber die grösste Schwierigkeit sind alte Gewohnheiten. Wer sich an falsche Konjunktive gewöhnt hat, wird üben müssen, um davon loszukommen.

Welcher Konjunktiv ist wann an der Reihe?

Die Grundregel ist einfach. Erst wenn man die Sonderregelungen für Spezialfälle hinzunimmt, wird es unübersichtlich. Daher gehen wir in drei Schritten vor:

  • Wir konzentrieren uns zunächst auf eine Faustregel. Mit der kommen Sie schon sehr weit.
  • Dann gehen wir in die Details.
  • Und erst wenn das alles sitzt, kümmern wir uns um die Sonderfälle.

So können Sie sich den Konjunktiv leicht merken. Der Plan ist also: Faustregel – Details – Sonderfälle.

Die Faustregel

Normalerweise drücken Sie Wünsche oder Möglichkeiten durch den Konjunktiv I aus. Den Konjunktiv II, den Irrealis, nehmen Sie, wenn Sie an etwas Zweifel haben oder die Sache unrealistisch, unerfüllbar oder unmöglich ist.

Das ist sie auch schon. Die Faustregel, die fast immer ausreicht.

Zur besseren Unterscheidung hier noch ein paar Beispielsätze:

KI Ein jeder singe, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
KII Ich sänge ja gern, aber mein Schnabel ist zu krumm.
KI Dein Wunsch sei mir Befehl.
KII Dein Wunsch wäre mir Befehl, wenn du der König wärest.
KI Er sagte, er habe immer genügend Geld dabei.
KII Er sagte, er hätte zwar Geld, aber nicht dabei.

Soweit also die Faustregel. Merken Sie sich einfach, dass der Irrealis (die Unwirklichkeitsform) seinem Namen Ehre macht.

Die Details: Konjunktiv I

Die Faustregel «Konjunktiv I für Wünsche und Möglichkeiten» passt sehr gut, wenn man den Begriff «Möglichkeiten» breit genug auslegt. Denn auch Vermutungen, Forderungen oder Befürchtungen sind noch nicht real, sondern vorerst nur Möglichkeiten.

Konjunktiv I in diesen Fällen:

Vermutung: Udo glaubte, der Film gefalle ihr.
Forderung: Ute wollte, dass er immer ehrlich sei.
Befürchtung: Ute ahnte, er gehe fremd.
Wunsch: Ihre Liebe möge ewig währen

Auch die indirekten Wiedergaben stehen im Konjunktiv:

Indirekte Rede (neutral): Udo sagte, er sei müde.
Indirekte Überlegung: Ute dachte, sie sei krank.
Indirekte Frage: Udo fragte sie, ob sie mit ihm ins Kino gehe.

Die Details: Konjunktiv II (Irrealis)

Der Konjunktiv II ist immer dann richtig, wenn betont werden soll, dass etwas unwirklich, chancenlos, unerfüllbar, mit dem Eintritt der Möglichkeit nicht zu rechnen ist.

Das steckt auch hinter dem Konjunktiv II als Höflichkeitsform. Wer «Würden Sie mir bitte helfen?» fragt, nimmt schon vorweg, dass die Antwort «nein» sein könnte. Die im Konjunktiv II gestellte Frage setzt den Angesprochenen kaum unter Druck und klingt daher höflich.

Konjunktiv II (Irrealis) in diesen Fällen:

Unerfüllbarer Wunsch: Sie hätte gern ihre Jugend zurück.
Unwirkliche Aussage: Ohne ihr Geld hätte er es nicht geschafft.
Unwirklicher Vergleich: Er lief als hätte er Flügel.
Unwirkliche Bedingung: Im Sommer wäre sie barfuss gelaufen.
Höflichkeitsform: Könnten Sie mir bitte helfen?
Unmöglichkeitsform: Das hätte ich nie für möglich gehalten.
Einschränkende Aufforderung: Sie sollte das Rauchen aufgeben.
Indirekte Rede (Zweifel): Sie gab vor, sie wäre müde

Die Sonderfälle

Sie erinnern sich? Wir wollten nach dem Schema Faustregel – Details – Sonderfälle vorgehen. Die Faustregel haben wir besprochen und die Details zu den beiden Konjunktiven ergänzt.

Fehlen nur noch die beiden Sonderfälle.

Ausführlich können Sie die Sonderfälle ganz am Ende dieses Beitrags lesen. Vorweg schon einmal die Quintessenz:

Die Konjunktiv-Formen sind manchmal mit anderen Verbformen identisch. Dann weiss der Leser nicht genau, ob die Aussage im Konjunktiv steht oder nicht. Um den Konjunktiv in solchen Sonderfällen eindeutig zu markieren, werden zwei Tricks benutzt:

  1. Der Konjunktiv II ersetzt den Konjunktiv I, wenn der Konjunktiv I mit dem Indikativ (der «Normalform») identisch ist.
  2. Der Konjunktiv II kann durch den Hilfskonjunktiv mit «würde» ersetzt werden**, wenn die Konjunktiv II Form mit dem Präteritum (Vergangenheitsform) identisch ist.
Das wird, wie erwähnt, erst weiter unten detailliert erklärt. Denn bevor Sie ins Eingemachte gehen, muss ich erklären, wie die beiden Formen (KI und KII), die dann vielleicht ersetzt werden müssen, überhaupt gebildet werden.

Das ziehen wir also vor, bevor wir die Sonderfälle genauer beleuchten.

Wie wird der Konjunktiv gebildet?

Das ist zum Glück ganz einfach. Für die Gegenwart (die anderen Zeiten folgen im Teil II der Rettungsaktion) lautet die Regel:

Die Konjunktiv-Endung wird an den Wortstamm angehängt. Und zwar für den Konjunktiv I an den Wortstamm des Infinitivs und für den Konjunktiv II an den des Präteritums.

Bauanleitung für den Konjunktiv I

Beginnen wir mit dem Konjunktiv I. Um den zu bauen, brauchen wir den Infinitiv-Wortstamm und die Konjunktiv-Endung.

Infinitiv-Wortstamm
red-en
spiel-en
wein-en
hab-en
sei-n
sitz-en
les-en
heb-en
Konjunktiv-Endung (für Konjunktiv I und II identisch)
1. Person Singular (ich) ~e
2. Person Singular (du) ~est
3. Person Singular (er, sie, es) ~e
1. Person Plural (wir) ~en
2. Person Plural (ihr) ~et
3. Person Plural (sie) ~en

Und aus diesen beiden Zutaten bauen Sie den fertigen Konjunktiv ganz einfach wie in dem folgenden Beispiel: 

Person Endung Beispiel (Konjunktiv I von «les-en»)
1. Person Singular (ich) ~e les-e
2. Person Singular (du) ~est les-est
3. Person Singular (er, sie, es) ~e les-e
1. Person Plural (wir) ~en les-en
2. Person Plural (ihr) ~et les-et
3. Person Plural (sie) ~en les-en

Bauanleitung für den Konjunktiv II

Der Konjunktiv II wird ganz genauso gebildet. Nur benutzen Sie für die Montage nicht den Infinitiv-Wortstamm, sondern den Präteritum-Wortstamm

Infinitiv-Wortstamm Präteritum-Wortstamm
red-en redet-e
spiel-en spielt-e
wein-en weint-e
hab-en hatt-e
sei-n war
sitz-en sass
heb-en hob

Und so klingt dann der fertige Konjunktiv II (die Endungen sind die gleichen wie beim Konjunktiv I): 

Person Endung Beispiel (Konjunktiv II von «reden»)
1. Person Singular (ich) ~e redet-e
2. Person Singular (du) ~est redet-est
3. Person Singular (er, sie, es) ~e redet-e
1. Person Plural (wir) ~en redet-en
2. Person Plural (ihr) ~et redet-et
3. Person Plural (sie) ~en redet-en

Beim Konjunktiv II von starken Verben (deren Stammlaut wechseln kann wie bei lesen – las – gelesen) wird nicht nur die Endung angehängt, sondern auch noch der Stammvokal zum Umlaut verändert. Der Konjunktiv II von lesen wird z.B. nicht mit dem Wortstamm «las-» sondern mit dem Wortstamm «läs-» gebildet. Das klingt kompliziert, hat aber einen grossen Vorteil: Durch die Vokalveränderung erkennt man den Konjunktiv II der starken Verben sofort.

Person Endung Beispiel (Konjunktiv II von «lesen»)
1. Person Singular (ich) ~e läs-e
2. Person Singular (du) ~est läs-est
3. Person Singular (er, sie, es) ~e läs-e
1. Person Plural (wir) ~en läs-en
2. Person Plural (ihr) ~et läs-et
3. Person Plural (sie) ~en läs-en

Überblick: Konjunktiv I und II

Damit Sie sich an den Klang gewöhnen können, sind hier mal die beiden Konjunktivformen verschiedener Verben gegenübergestellt:

  reden lesen bieten haben sein
schwaches Verb
regelmässig
starkes Verb
regelmässig
starkes Verb
regelmässig
Hilfsverb, «du» und
«ihr» unregelmässig
Hilfsverb, «ich» und
«er» unregelmässig
KI KII KI KII KI KII KI KII KI KII
ich red-e redet-e les-e läs-e biet-e böt-e hab-e hätt-e sei *) wär-e
du red-est redet-est les-est läs-est biet-est böt-est hast *) hätt-est sei-st wär-est
er red-e redet-e les-e läs-e biet-et böt-e hab-e hätt-e sei *) wär-e
wir red-en redet-en les-en läs-en biet-en böt-en hab-en hätt-en sei-en wär-en
ihr red-et redet-et les-et läs-et biet-et böt-et hab-t *) hätt-et sei-et wär-et
sie red-en redet-en les-en läs-en biet-en böt-en hab-en hätt-en sei-en wär-en

*) Diese Formen weichen geringfügig von der Norm ab, weil dort jeweils ein «e» weggelassen wurde, um den Redefluss zu verbessern.

Das alles ist hinreichend kompliziert. Aber Sie gewöhnen sich dran. Versprochen. Probieren Sie einfach die Konjunktivformen für weitere Verben (sitzen, schmunzeln, träumen, essen, fluchen, loben, lachen, rennen …) durch und vergleichen Sie Ihre Konjunktive mit den Verben in der Tabelle. Dann entwickelt sich Ihr Gehör für den Konjunktiv.

Soweit die Bildung der Konjunktivformen. Das wirkt im ersten Anlauf sehr verwirrend; so viele Dimensionen und Eigenheiten muss man im Hinterkopf behalten. Aber Ihr Sprachgefühl wirds schon richten, wenn Sie ein paar Stunden lang Konjunktiv-Sätze mit unterschiedlichen Verben bilden. Und dann gehören Sie zu den stolzen 5%, die einen korrekten Konjunktiv schreiben können.

… Wenn da nicht noch die beiden Sonderfälle wären, auf die ich eingangs schon zu sprechen kam.  Bei diesen geht es immer darum, den Konjunktiv zweifelsfrei zu markieren, wenn die Formen missverständlich sind.

Das schauen wir uns jetzt auch noch an und dann ist der Gegenwarts-Konjunktiv im Kasten (wenn Sie den beherrschen, sind die anderen Zeiten ein Spaziergang).

Sonderfall 1: Wenn Indikativ und Konjunktiv I identisch sind, Konjunktiv II Form ausleihen.

Unten ist noch einmal eine Beispieltabelle. Darin sind die Fälle kursiv markiert, in denen sich Indikativ und Konjunktiv I unterscheiden. Nur in diesen (seltenen) Fällen sieht man dem Verb sofort an, ob es im Indikativ (der «normalen» Form) oder Konjunktiv steht. Bei den unmarkierten Formen sind Konjunktiv I und Indikativ identisch. In diesen Fällen würde ein Leser, der die Verbform liest (z.B. «du redest») annehmen, der Indikativ sei gemeint.

  reden lesen haben
schwaches Verb starkes Verb Hilfsverb
Indikativ KI KII und Ersatz-KI Indikativ KI KII und Ersatz-KI Indikativ KI KII und Ersatz-KI
ich red-e red-e redet-e les-e les-e läs-e hab-e hab-e hätt-e
du red-est red-est redet-est les-est les-est läs-est hast hab-est hätt-est
er red-et red-e redet-e liest les-e läs-e hat hab-e hätt-e
wir red-en red-en redet-en les-en les-en läs-en hab-en hab-en hätt-en
ihr red-et red-et redet-et les-t les-et läs-et hab-t hab-et hätt-et
sie red-en red-en redet-en les-en les-en läs-en hab-en hab-en hätt-en

Deshalb dürfen Schreiber in diesen unklaren Fällen den Konjunktiv II anstelle des Konjunktiv I benutzen. Das läuft wie bei Schwestern. Wenn eine in den Ausgang will, aber kein passendes Outfit hat, muss die Garderobe der Schwester aushelfen. So auch beim Konjunktiv: Wenn der Konjunktiv I keine Form hat, die ihn eindeutig kenntlich macht, borgt er sich die Form des Konjunktiv II.

Aus dem Satz ‹Die Kinder sagten: «Wir laufen hier entlang.»› wird in indirekter Rede ‹Die Kinder sagten, sie liefen (statt laufen) hier entlang.› Anstelle der KI-Form «Iaufen», die mit dem Indikativ identisch ist, wird also die KII-Form «liefen» verwendet. In der Einzahl bleibt es beim normalen Konjunktiv I. Aus ‹Das Kind sagte: «Ich laufe hier entlang.»› wird ‹Das Kind sagte, es laufe (nicht liefe) hier entlang.› Die KI-Form «laufe» ist von der Indikativ-Form «läuft» verschieden. Daher muss die KI-Form verwendet werden.

Fazit: Bei den Beispielverben in der obigen Tabelle ist der jeweils fettgedruckte Ausdruck der korrekte Konjunktiv I.

Übrigens: Nur das Hilfsverb «sein» hat in allen Formen einen eigenständigen Konjunktiv (ich sei, du seist, er sei, wir seien, ihr seiet, sie seien). Es folgt das Hilfsverb «haben» mit drei eigenständigen Formen. Die allermeisten Verben haben nur in der dritten Person Singular (er, sie, es) einen eigenständigen Konjunktiv.

Das klingt wenig. Da aber der Konjunktiv meist für die indirekte Wiedergabe von Rede und Gedanken benutzt wird, kommen Sie damit schon weit. Denn zu 90% nutzen Sie die indirekte Rede, um die Gedanken einer dritten Person wiederzugeben.

Das ist ganz logisch: Weil ich selbst dabei bin, muss ich meine Aussagen nicht indirekt einbringen. Mein Gegenüber (du) weiss selbst, was es gesagt hat. Das muss ich ihm sowieso nicht erzählen. Aber ein Dritter (er), der nicht im Raum ist, wird oft mit seinen Gedanken zitiert, weil er nicht für sich selbst sprechen kann. Auch die Pluralfälle (wir, ihr, sie) sind selten, weil die Meinungen auseinandergehen und man sie nicht zu einer Aussage zusammenziehen kann. Ergebnis: Die dritte Person Singular (er, sie, es) reicht meistens aus. Deshalb ist der Konjunktiv II als Stellvertreter für den Konjunktiv I in freier Wildbahn überraschend selten.

Sonderfall 2: Regelmässige Verben bilden einen Hilfskonjunktiv mit «würde»

Alle schwachen Verben haben im Konjunktiv II und im Präteritum identische Formen. Vergangenheit und Irrealis sind dann nicht unterscheidbar.

Bei den starken Verben ist die Sache klarer, weil der Konjunktiv II den betonten Vokal verändert: Aus «sitzen» (Gegenwart ) wird «sass» (Präteritum) und «sässe» (Konjunktiv II). Aus «haben» wird «hatte» (Präteritum) und «hätte» (Konjunktiv II).

Bei den regelmässigen Verben können die Vokale nicht zu Umlauten werden (freuen, freute, freute; kaufen, kaufte, kaufte; malen, malte, malte …). Konjunktiv II und Präteritum sind genau gleich. Der Satz «Ich kaufte ein Auto» könnte Vergangenheit sein (Ich kaufte gestern ein Auto) oder Irrealis (Ich kaufte so gern ein Auto, wenn es nicht so teuer wäre.)

Und wie stelle ich es an, dass ganz klar ist, welche Form gemeint ist?

Hier kommt der Hilfskonjunktiv ins Spiel. Den hört man so oft (meist falsch), dass viele meinen, er sei der einzige Konjunktiv. Gebildet wird der Hilfskonjunktiv mit «würde». Würde wird konjugiert und dann mit dem Infinitiv (der Grundform) des Verbs gekoppelt:

Indikativ Präteritum & KII Hilfskonjunktiv II
(ich) kaufe kaufte würde kaufen
(du) kaufst kauftest würdest kaufen
(er) kauft kaufte würde kaufen
(wir) kaufen kauften würden kaufen
(ihr) kauft kauftet würdet kaufen
(sie) kauften kauften würden kaufen

Dieser Hilfskonjunktiv ist aber nur für Fälle vorgesehen, in denen der Originalkonjunktiv missverständlich wäre. Man hört ihn aber oft auch bei starken Verben, die einen unverwechselbaren Konjunktiv II bilden können würden könnten. Weil der falsche Hilfskonjunktiv so grob klingt, habe ich ihn Brechstangenkonjunktiv getauft.

Brechstangenkonjunktiv (falsch) Korrekter Konjunktiv II für starke Verben
Ich würde sitzen ich sässe
Ich würde gern haben ich hätte gern
Er würde nie lügen er löge nie
Ich würde schneller laufen ich liefe schneller
Du würdest schneller essen du ässest schneller

In den oben gezeigten Fällen ist der Universalkonjunktiv falsch – auch wenn man ihn immer wieder hört und liest. Bei den starken Verben ist er nur dann ausnahmsweise erlaubt, wenn die Originalform schon sehr antiquiert klingt:

«Wenn mir nur jemand hülfe!» wird meist zu «Wenn mir nur jemand helfen würde!» und statt: «An meiner Stelle urteiltest du anders.» darf man sagen: «An meiner Stelle würdest du anders urteilen.»

Jetzt erstmal: Verschnaufpause

Geschafft.

Absitzen. Durchschnaufen. 

Die Regeln für den Konjunktiv der Gegenwart haben Sie jetzt drauf. Lesen Sie sich diesen Artikel noch ein paar Mal durch, damit das komplizierte Thema Zeit hat, anzuwachsen.

Ich bin jedenfalls sehr stolz auf Sie, dass Sie bis hierher durchgehalten haben.

Sie mögen sich fragen, wie die Zukunfts- und die Vergangenheitsformen der Konjunktive gebildet werden. Das ist eine gute Frage. Die Antwort ist überraschend einfach und kommt in den nächsten Wochen. Sie ist schon fast fertig; es fehlt nur noch der Feinschliff. Aber auch mir schwirrt jetzt der Kopf und ich brauche mal eine Beziehungspause.

So war es übrigens auch bei Udo und Ute. Sie haben mal eine Trennung auf Zeit probiert. Ein paar Wochen lang hat der Udo bei seinem Kumpel Ueli auf dem Gästesofa kampiert.  Danach ist die Liebe aber nicht mehr so richtig in Gang gekommen und schliesslich hat der Udo seine Sachen gepackt. Traurige Sache, das.

Mit der Ursula hat er übrigens nie etwas gehabt. Die war ja schon seit der Primarschule mit ihrem Gunnar liiert (dessen Mutter mit Utes Mutter im Kirchenvorstand sitzt). Deshalb hat Ulrike auch noch Hoffnung, dass sich zwischen Udo und Ute alles wieder gut kommt.

Übungsaufgabe

Gesucht ist der korrekte Konjunktiv zu den folgenden Indikativen.

Beispiel:

Indikativ: Ulrike sagt: «Ich hoffe auf ein Happy End zwischen Udo und Ute.»

Konjunktiv (indirekte Rede): Ulrike sagt, sie hoffe auf ein Happy End zwischen Udo und Ute.

Im gleichen Stil sind die Übungsaufgaben zu bearbeiten:

  1. Ich esse eine Scheibe Brot. (Ich sagte, ...)
  2. Ich laufe nach Hause. (Ich rief,...)
  3. Er hat einen bösen Traum. (Er sagte, ...)
  4. Er hat kein Geld. (Er klagte, ...)
  5. Er hat zwar Geld, aber nur auf der Bank. (Er behauptete, ...)
  6. Du schwimmst sehr schnell. (Du sagtest, ...)
  7. In den Ferien schlafen wir aus. (Sie sagten, ...)
  8. Wer am Steuer einschläft, lebt gefährlich. (Er sagte, ...)
  9. Alle Kinder lieben Hunde. (Sie behauptete, ...)
  10. Jetzt musst du würfeln. (Sie schrie, ...)
(Die Lösung finden Sie ganz am Ende dieses Artikels.)

Das Wichtigste im Schnelldurchlauf

  • Konjunktiv I für Wünsche, Vermutungen, Forderungen, Möglichkeiten und indirekte Rede
  • Konjunktiv II «Irrealis» für Unwirkliches, Zweifelhaftes, Unerfüllbares und als Höflichkeitsform.
  • Konjunktiv II auch als Ersatzform für Konjunktiv I
  • Bei schwachen Verben kann statt dem Konjunktiv II der Ersatzkonjunktiv mit «würde» benutzt werden.

Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.

Danke.

Das wars für heute.

wiemeyer matthias rund

Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer



Anhang: Fachbegriffe der Grammatik

Konjunktiv Der Modus der Verben für das Mögliche, Gewünschte, Befürchtete. Wir unterscheiden Konjunktiv I und Konjunktiv II (Irrealis).
Imperativ Der Befehlsmodus der Verben. (Sprich gefälligst Deutsch!)
Verb Die «Tuwörter», die Tätigkeiten (lesen), ein Geschehen (regnen) oder einen Zustand (sitzen) ausdrücken können. Verben kommen im Indikativ, Konjunktiv oder Imperativ vor. Verben werden konjugiert (s. Konjugation). Die sogenannten «starken» Verben zeigen dabei Unregelmässigkeiten, vor allem einen Wechsel des Stammvokals (essen/ass, sitzen/sass). Die «schwachen» Verben bilden ihre Formen regelmässig (reden/redete, wandern/wanderte). Schwache Verben haben meist nur in der 3. Person Singular eine eigenständige Konjunktivform.
Indikativ Normalmodus der Verben für die Darstellung der Wirklichkeit. (Er spricht Deutsch.)
Konjugation Die Abwandlung von Verben gemäss ihrer Person und ihrer Zeitform. (Ich lese, du liest, er liest, wir lesen ...)
Infinitiv Die unkonjugierte Grundform eines Verbs (geh-en sitz-en, lach-en)
Präsens Gegenwart (Ich sitze auf der Bank.)
Präteritum Vergangenheit (Er sass auf der Bank.)
Perfekt Vor-Gegenwart (Du hast auf der Bank gesessen.)
Plusquamperfekt Vor-Vergangenheit (Wir hatten auf der Bank gesessen.)
Futur I Zukunft (Du wirst auf der Bank sitzen.)
Futur II Zukünftige Vergangenheit (Ich werde auf der Bank gesessen haben.)

Lösung zur Aufgabe

  1. Ich sagte , ich ässe eine Schreibe Brot. (K II statt K I)

    2. Ich rief, ich liefe nach Hause. (K II statt K I)

    3. Er sagte, er habe einen bösen Traum. (K I)

    4. Er klagte, er habe kein Geld. (K I)

    5. Er behauptete, er hätte zwar Geld, aber nur auf der Bank.

    6. Du sagtest, du schwimmest sehr schnell. (K I)

    7. Sie sagten, in den Ferien schliefen sie aus. (K II statt K I)

    8. Er sagte, wer am Steuer einschlafe, lebe gefährlich (K I)

    9. Sie behauptete, alle Kinder liebten Hunde (K II statt K I)

    10. Sie schrie, jetzt müsstest du würfeln. (KI)

    Wir haben noch mehr Texte über korrektes Schreiben. Die finden Sie hier: