Es gibt auch Wörter zweiter Klasse. Die riechen und puffen und quietschen nicht. Die schmecken nach Plastik und hängen ihr Fähnchen in den Wind. Wer gut schreiben will, pflegt wenig Umgang mit solchen Gesellen.

Packende Texte schreiben

Treffende Wörter sind die Elementarteilchen packender Texte. Ihre Gegenspieler sind die farblosen Allerweltswörter, die nichts genau bezeichnen. Beispiele sind Nomen wie Ding, Bereich oder Angelegenheit, Verben wie tun, haben oder sein und Adjektive wie gut, schlecht und schön. Alles Wörter, die nichts Rechtes bedeuten und leere Sätze bilden:

«Jetzt hat er das Ding. Sieht gut aus.»

Ob das «Ding» ein Frisbee ist oder ein elektrischer Kartoffelschäler; wir wissen es nicht. Ein Elefant ist es wohl nicht. Der wäre ein Viech.

Klartext bitte

Gute Texte verwenden keine Larifari-Vokabeln. Sie setzen auf kernfeste, präzis umrissene Wörter, die einen klaren Gedanken treffend auf den Punkt bringen. Wenn Sie mal zum Thema Suchmaschinenoptimierung recherchieren, geht Ihnen vielleicht diese Perle ins Netz:

«Webseiteninhaber haben bestimmte Vorstellungen, wie ihre Webseite auszusehen hat. Genauso geben Webdesigner ihren Senf dazu. Bei SEOs und auch Textern ist es das Gleiche. Verschiedene Meinungen treffen aufeinander, wobei die jeweiligen Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen liegen.»

Drei Sätze, von denen keiner sich auf einen konkreten Inhalt festlegt. Irgendwie haben die Leute Mühe mit der Zusammenarbeit. Mehr erfahren wir aus 36 Wörtern nicht.

Wie repariert man einen Larifari-Text?

Das Hauptproblem im Beispieltext ist, dass die Autorin nicht an ihre Leser gedacht hat. Die Platzhalter-Begriffe («bestimmte Vorstellungen», «Senf», «das Gleiche», «verschiedene Meinungen», «jeweilige Kompetenzen», «unterschiedliche Bereiche») mögen für die Autorin etwas Wichtiges, Interessantes, Nützliches bedeuten.

Sie hat gefühlte 7463 Stunden in fruchtlosen Meetings mit ahnungslosen Auftraggebern, designverliebten Grafikern und autistischen Programmierern verbracht. Sie kennt alle Schützengräben und hat genug davon.  Deshalb muss sie sich das Ganze ja von der Seele schreiben. Aber dann hat sie den Fehler gemacht, den fast alle Schreib-Amateure machen: Sie hat vergessen, dass ihre Leser nicht dabei waren. Dass sie sich das Drama vorstellen müssen, ohne ihre Erfahrung aus 32 Projekten zu teilen.

Sie hat anschauliche Details im Kopf, während sie ihre Platzhalter aufeinanderstapelt. Aber für ihre Leser bleibts abstrakt.

Anschaulich machen

Daher ist die Aufgabe hier, statt eines inneren Monologs (der nur für die Autorin etwas bedeutet) eine anschauliche Geschichte zu schreiben. Das braucht Aufmerksamkeit. Denn wir können uns kaum vorstellen, dass andere sich nicht vorstellen, was wir uns vorstellen. Genau das müssen wir uns aber vorstellen. Dann fliegt auf, dass die Platzhalter-Begriffe für Fremde nichts bedeuten. Wir müssen anschauliche Wörter wählen, damit sie einen Eindruck bekommen, sich etwas vorstellen können, das ihre Neugierde weckt oder ihren Wissensdurst stillt.

Praxistipp: Wortschatz durchsuchen

Bei der Suche nach alternativen Formulierungen können Synonymwörterbücher helfen. Eine nützliche Quelle im Netz ist zum Beispiel der Wortschatz der Universität Leipzig: http://wortschatz.uni-leipzig.de/

Was wollen Sie sagen?

Wenn Sie einen leeren Satz überarbeiten, fragen Sie sich zuerst: «Was will ich überhaupt sagen?»

Das würde ich auch die Autorin des SEO-Textes fragen. Die ersten zwei, drei Antworten wären wahrscheinlich immer noch abstrakt; weil sie sich nicht vorstellen kann, was ich mir nicht vorstellen kann. Aber dann kriegt sie die Kurve und erzählt mir Anekdoten aus ihren Projekten. Mit saftigen Details und qualmenden Revolvern. Genau das, was ich brauche. Daraus baue ich im Handumdrehen anschauliche Sätze, die meine Leser gern zu Ende lesen.

Abstrakte Einsichten

Wenn Sie nur unterhalten wollen, reicht das schon. Aber wenn Ihre Leser etwas lernen sollen, fehlt noch etwas: die «Moral von der Geschicht’», die Ihre Leser klüger macht.

Die müssen Sie abstrakt formulieren. Unanschaulich und allgemeingültig – gerade so, wie ich es anfangs verteufelt habe. Denn hier formulieren Sie eine allgemeine Erkenntnis, die auf viele verschiedene Fälle passen soll. Sie wechseln also zwischen anschaulich und abstrakt. Detailreiche, anschauliche Beispiele machen Ihre Texte leserfreundlich.

Dann verallgemeinern Sie. Die allgemeine Erkenntnis ist zwar wenig anschaulich – aber mit den Beispielen im Hinterkopf kann Ihr Leser sie auf seine aktuellen Probleme übertragen. Das Verallgemeinern ist anstrengende Denkarbeit. Dazu brauchen Sie keine Textverarbeitung. Eher einen Waldspaziergang oder ein Gespräch mit neugierigen Kollegen.

Jetzt haben Sie interessante Anekdoten und kluge Einsichten parat. Die behalten Sie im Hinterkopf und arbeiten sich Satz für Satz durch den flauen Text vom Anfang.

Sätze scharfstellen

Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Schreiben Sie einen Satz und probieren Sie verschiedene Varianten aus, bis der Inhalt genau passt. Bei dem SEO-Text vom Anfang läuft das ungefähr so:

Original:

  • Verschiedene Meinungen treffen aufeinander, …

Varianten:

  • Widersprüchliche Meinungen treffen aufeinander, …
  • Zielkonflikte blockieren die Zusammenarbeit, …
  • Die Seiteninhaber wollen …, aber die Webdesigner und SEOs müssen …

Jede Variante ist anschaulicher als das Original. Das Durchprobieren der Varianten wirkt auch aufs Denken. Wenn Sie die perfekte Formulierung haben, verstehen Sie schon wieder mehr vom Thema. Am Ende dürfen Sie nur Formulierungen in Ihren Text lassen, die Ihre Gedanken ganz genau treffen.

Das ist zermürbende Fleissarbeit – Satz für Satz. Die ersten Texte werden Sie viel Zeit kosten. Aber wenn Sie Ihr Schreiben ernst nehmen, müssen Sie die Zeit investieren. Schreiben ist wie Schwimmen. Weil Sie die Bewegungen immer wieder üben, werden sie zur Routine. Sie halten sich über Wasser, ohne dauernd über Arme und Beine nachzudenken.

Üben und Routinen einschleifen – so kommen Sie auch beim Schreiben voran. Es gibt keine Abkürzungen. Wer nicht üben will, geht unter.

Knapp daneben ist auch vorbei

Damit Ihr Üben Früchte trägt, müssen Sie genau hinhören, was bei Ihren Wörtern alles mitschwingt. Denn jedes Wort, auch das treffende, hat eine Entstehungsgeschichte. Die müssen Sie im Auge behalten.

Zwei Beispiele illustrieren das Gemeinte:

«Der Vater ähnelt seinem Sohn.»

Das klingt etwas schief. Das Wort «ähneln» kommt von «Ahne». Weil Eltern ihr Aussehen an ihre Kinder vererben, ähneln die Kinder den Eltern – nicht umgekehrt.

«Die Ärztin sorgt für ihren Patienten.»

Das ist ein stimmiger Satz.

«Das Sturmtief sorgt für schwere Verwüstungen.»

Da stimmt etwas nicht. Wer für jemanden sorgt, hat dessen Wohl im Sinn. Der Sturm hat nichts im Sinn und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung.

Solche Feinheiten fallen den meisten Lesern nicht auf. Aber: Wer in seiner Wortwahl immer knapp daneben liegt, schreibt keine guten Texte.

Wortbedeutung und -herkunft

Etymologische Wörterbücher können helfen, in Zweifelsfällen richtigzuliegen.

Ein sehr gutes Werkzeug ist das «Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache», erreichbar unter http://dwds.de .

Das berühmte Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist inzwischen online und (mit Ausnahme der Rechtschreibung) noch immer eine gute Referenz. (http://germazope.uni-trier.de/ Projekte/DWB)

Das neutrale Wort

Jetzt haben Sie also das Wort gefunden, das den Kern trifft und nicht durch falsches Schillern auffällt. Fehlt noch die Endkontrolle: Enthält das Wort genau die Wertungen, die Sie für Ihren Text brauchen?

Wissenschaftliche und journalistische Texte sollen die ungefärbte Wahrheit zeigen. Anders bei Katalogtexten: Die wollen objektiv klingen, das Produkt aber unterschwellig loben. (Offensichtliche Lobhudelei tönt nach billiger Reklame.) In beiden Fällen müssen Sie die wertende Färbung Ihrer Wörter kennen – um sie zu meiden oder raffiniert zu nutzen.

Stellen Sie sich vor, Sie beziehen sich auf einen Fachartikel, der einseitig argumentiert und daher falsche Schlüsse zieht.

Wie könnte Ihre Kritik klingen?

  • Der Artikel verschweigt wichtige Details.
  • Der Artikel unterschlägt wichtige Argumente.
  • Der Artikel beschreibt einen Spezialfall, der nicht verallgemeinert werden darf.

Die ersten beiden Beispiele enthalten versteckte Wertungen. Wer etwas verschweigt, handelt wider besseres Wissen und Unterschlagung ist ein Begriff aus dem Strafrecht. Nur die letzte Formulierung ist neutral und präzise genug für eine objektive Stellungnahme.

Auch in alltäglichen Wörtern schwingen oft Wertungen mit.

Hören Sie selbst:

  • interessiert, neugierig, offen, gespannt, aufmerksam, verwundert, ratlos …
  • schnell, eilig, hastig, rasant, flink, flott …
  • Frage, Schwierigkeit, Wissenslücke, Problem, Irrtum …

Es ist eine gute Übung, für einige Sätze ein Spektrum auf- und abwertender Alternativen zu formulieren.

Zum Beispiel so:

  • Was ich auch fragte, der Verkäufer hatte eine hilfreiche Antwort parat.
  • Der Verkäufer beantwortete meine Fragen.
  • Der Verkäufer war um keine Antwort verlegen.
  • Der Redeschwall des Verkäufers erstickte meine Zweifel.

Das Beispiel zeigt auch: Manchmal zeigt ein färbendes Wort die Wahrheit klarer als die neutrale Formulierung.

Eine Aufgabe zum Üben

Im folgenden Text nimmt eine kleine Schweizer Krankenkasse zur Volksinitiative «Einheitskrankenkasse» Stellung. Die kleine Krankenkasse sieht ihre Existenz gefährdet. Die Stellungnahme enthält daher viele offene und versteckte Wertungen:

«Zum dritten Mal innert weniger Jahre versucht die Linke, unser mittlerweile gut funktionierendes Krankenversicherungssystem durch eine Radikallösung zu ersetzen. Wie sich diese Lösung auf Kosten, Qualität und Branchenstruktur auswirkt, ist kaum untersucht worden. Nicht einmal die Initianten selbst haben sich die Mühe gemacht, hierzu halbwegs brauchbare Abklärungen zu tätigen. Vielleicht eine ganz bewusste Strategie, da es sich in unklaren Situationen besser mit Behauptungen argumentieren lässt.»

  1. Aufgabe: Schreiben Sie den Text so um, wie ein neutraler Journalist ihn möglichst wertfrei schriebe.
  2. Aufgabe: Der Text ist so offensichtlich parteiisch, dass er nicht von Personen beachtet wird, die nach objektiven Informationen suchen. Wie müssten Sie (parteiisch, aber subtiler wertend) schreiben, damit Ihre Argumente als willkommener Beitrag zur Debatte gelesen werden?

Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.

Danke.

Das wars für heute.

wiemeyer matthias rund

Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer