Was Sie sich vor dem Schreiben fragen müsen

Besser schreiben:
Zwei unscheinbare Fragen, die Sie vorher klären müssen

Da ist diese Deadline. Morgen Nachmittag erwartet Ihr sehr komplizierter Kunde (Chef, Kollege, künftiger Arbeitgeber ...) das perfekte Schriftstück von Ihnen. Mit brillanten Ideen, bestechend klarer Sprache und makellosem Layout. 

Und das Thema?

Liegt Ihnen nicht so?

Das wollten Sie eigentlich gestern schon recherchieren, weil sie davon so gar keine Ahnung haben. Aber dann mussten Sie dringend den Speicher aufräumen und das Altpapier zum Wertstoffhof bringen und Ihre Schulfreundin Gabi anrufen... Und jetzt ist diese unangenehme Schreibaufgabe immer noch da.

Nur dringender.

Also Ärmel hochkrempeln, Computer starten und loslegen?

Einen Moment bitte ...

So wird das nichts. Zuerst müssen Sie zwei Fragen klären: Was soll der Text leisten und an wen richtet er sich.

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Guter Rat: gratis

Was wir schreiben, bringt Sie weiter. Gut gelaunte Schreiber:innen auf der ganzen Welt drucken sich die Texte aus, um darin herumzukritzeln. (Die Randnotizen sind oft das Wertvollste).

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Jeder Text hat einen Job.

Welchen Job hat Ihr Text? Soll er

  • Hobby-Rennfahrer für den neuen Porsche begeistern
  • die Wogen nach einem Zerwürfnis glätten
  • eine Romanfigur lebendig machen
  • Steuerzahlern mit den Formularen helfen
  • ein Publikum zum Lachen bringen oder
  • als Sommerhit Karriere machen?

Was immer die Aufgabe Ihres Textes ist: Er ist nur gut, wenn er seinen Job erledigt. Das ist das wichtigste Kriterium. Wir merken uns also:

Ein Text ist gut, wenn er funktioniert. 

Vielleicht bemerken Sie: Grammatik und Rechtschreibung sind (noch) nicht entscheidend. Korrekte Sprache ist besser als fehlerhafte. Das versteht sich von selbst. Aber es gibt fehlerhafte wirkungsvolle Texte und fehlerfreie wirkungslose Texte

Damit ein Text funktioniert, muss er bei seinem Zielpublikum die erwünschte Reaktion auslösen. Daher ist es die erste Bürgerpflicht professioneller Schreiber: Kenne deine Leser.

Wer ist Ihr Publikum?

Gute Texte verlangen, dass der Schreiber sich im voraus entscheidet, was, für wen und wie er schreibt. Ihr Text wird nur funktionieren, wenn Sie bei Aufbau, Tonalität, Breite und Tiefe Ihrer Darstellung an Ihre Leser denken. 

Das klingt friedlicher als es ist.

Ob Sie Nobelpreisträger, Briefträger oder Bedenkenträger als Zielpublikum wählen: Immer schliessen Sie viele andere Personen aus. Wenn Sie es allen recht machen wollen, können Sie keine guten Texte schreiben. Und wenn Ihr Publikum begeistert ist, werden andere Ihren Text furchtbar finden.

Das müssen Sie aushalten. 

Damit Ihr Text zu Ihren Lesern passt, beantworten Sie sich die folgenden Fragen zum Leserprofil. Die Liste ist nicht abschliessend. Wenn Sie einen Schuhladen für Übergrössen betreiben, ist sogar die Schuhgrösse Ihrer Leser relevant. 

Leserprofil

  • Wie ticken Ihre Leser?
  • Welche Interessen hat Ihr Publikum?
  • Welches Vorwissen?
  • Welche Erwartungen?
  • Welche Überzeugungen?
  • Welche Vorlieben?
  • Welche Sorgen?
  • Welche Gewohnheiten?
  • Welche Ausbildung?
  • Wo leben Ihre Leser?
  • Wie verbringen sie ihren Tag?
  • Wie viel Zeit nehmen sie sich für Ihren Text?
  • Wann und wo lesen sie Ihren Text?
  • Wie geht es nach der Lektüre weiter?

Ihre Leser – ganz konkret

Wenn Sie sich die Fragen beantwortet haben, stellen Sie sich am besten eine konkrete Person (lieber keine Gruppe – sonst schreiben Sie eine Predigt) vor, die Ihrem Zielpublikum entspricht. Das kann jemand aus Ihrer Familie, aus der Nachbarschaft, dem Büro, einem Film oder einem Roman sein. Hauptsache, die vielen Faktoren verschmelzen zu einer Identität in Ihrem Hinterkopf.

Tipp: Wenn es Ihnen schwerfällt, Ihre Zielgruppe beim Schreiben im Hinterkopf zu behalten, kleben Sie sich ein passendes Foto an den Monitor

Was würde Ron Weasley sagen?

Wenn Sie zum Beispiel denken: Meine Leser sind Leute wie Ron Weasley aus Harry Potter – dann stellen Sie sich vor, wie Ihr Text zu Ron Weasley spricht. Lesen Sie ihm die Sätze vor. 

  • Wird Ron aufmerksam zuhören?
  • Will er mehr erfahren? Oder langweilt ihn das Thema nach ein paar Zeilen?
  • Runzelt er die Stirn, weil Sie zu abgehoben schreiben
  • oder ärgert er sich, weil Sie ihm nichts zutrauen?

Ihre Haltung zählt

Treten Sie in die Schuhe Ihres Lesers. Stellen Sie ihn sich lebhaft vor; nicht bloss als abstrakte Vorstellung. Malen Sie ihn sich in allen Facetten aus, bis Sie beinahe das Gefühl haben, er sässe neben Ihnen.

Und dann schreiben Sie einfach so, wie es Ihnen passend scheint. 

Sie sprechen ja auch mit Ihrem Gemeindepfarrer anders als mit einem Hooligan. Menschen passen Ihre Sprache automatisch an, wenn sie vor einem konkreten Gegenüber stehen.

Diese ganz natürliche Fähigkeit können Sie in den Dienst guter Texte stellen, wenn Sie sich Ihr Publikum so lebensecht wie möglich vorstellen, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen.

Das sind die besten Schreibtipps: Wo Sie keine Checkliste beachten müssen, sondern einfach Ihre Perspektive ändern und dann Ihrer Intuition folgen können. 

So entsteht ein Rohtext, an dem schon vieles richtig ist. Den müssen Sie noch überarbeiten, ergänzen und auf Hochglanz polieren. Aber auf jeden Fall starten Sie mit einer Version, die nicht an Ihrem Publikum vorbeigeht.

Das Wichtigste im Schnelldurchlauf

  • Gute Texte erfüllen ihren Zweck. Das ist ihre wichtigste Aufgabe. Stil- und Grammatikfragen kommen später.
  • Damit ein Text seinen Zweck erfüllen kann, müssen Sie ihn auf Ihre Leser zuschneiden. 
  • TIPP: Stellen Sie sich Ihre Leser als Personen vor, zu denen Sie einen lebhaften Bezug haben. Ihr Text ist erst gut, wenn diese Personen Ihren Text mit Freude und Gewinn lesen würden. 
  • Versuchen Sie nicht, es allen recht zu machen. Gute Texte zeigen Profil. Das gefällt nicht jedem.

Eine Aufgabe zum Üben

Glauben Sie nicht, ich durchschaute Sie nicht. Ich weiss genau, dass Sie gelegentlich beim Lesen genickt haben; den Schritt  «Nachdenken vor dem Schreiben» werden Sie bei der nächsten Schreibaufgabe trotzdem überspringen. Weils ja eh klar ist. Sie machen ja auch nicht wochenlang Skigymnastik, bevor Sie das erste Mal auf die Piste gehen.

Sehen Sie – Genau deshalb mache ich mir Sorgen um Ihre Texte (und um Ihren Meniskus).

Damit Sie mal am eigenen Leib erfahren, wie gross der Unterschied ist, haben ich eine kleine Aufgabe für Sie. Schreiben Sie die beiden Texte. Legen Sie Ihr Herzblut hinein und vergleichen Sie dann. Vielleicht überzeugt Sie das ja. Sonst bin ich mit meinem Latein am Ende.  

Aufgabe

Denken Sie an einen schönen Urlaub zurück. Stellen Sie sich den Ort vor, an dem Sie sich rundum wohl gefühlt haben. Nun schreiben Sie zwei kurze Texte. Sie möchten jemanden für das Urlaubsziel begeistern – vielleicht um im nächsten Jahr dort gemeinsam Ferien zu machen. Weil sich die Adressaten unterscheiden, müssen sich auch die Texte unterscheiden. Sie schreiben direkt aus den Ferien. Ihr Text soll auf eine Postkarte passen.

Text 1

Sie schreiben an Ihre Nichte oder Ihr Patenkind. Jedenfalls an ein Kind im Primarschulalter, dessen Interessen und Vorlieben Sie sich lebhaft vorstellen können. 

Text 2

Sie schreiben an Ihren besten Freund oder Ihre beste Freundin. Sie beide planen schon länger, ein paar Tage gemeinsam zu verreisen. 

Ich hoffe, das war nützlich für Sie. Die wenigsten Leser finden dieses Thema wichtig genug, um diesen Artikel zu Ende zu lesen. Danke, dass Sie es getan haben. Und wer weiss – vielleicht machen Sie vor der nächsten Skisaison sogar etwas Gymnastik. Schaden würd’s wohl nicht.   

Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.

Danke.

Das wars für heute.

wiemeyer matthias rund

Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer

  

  
  

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