Der nachdenkliche kleine König
Weshalb der kleine König so nachdenklich war und wie seine Freunde eine Lösung fanden.
Andrea Lutz
Der nachdenkliche kleine König
Es war einmal ein kleines Königreich im tiefen Wald. Dort regierte der kleine König Karl der Herzensgute sein Volk mit Weisheit und Liebe. Und weil er ein so herzensguter König war, hatten seine Untertanen nie einen Grund zur Klage. Im Gegenteil, sie liebten ihren kleinen König und waren stolz auf das kleine Königreich, in dem alles zum Besten stand.
Eines Tages bekamder kleine König wie immer sein königliches Morgenessen serviert. Doch an diesem Tag war alles anders. Die wunderbare Konfitüre aus süssen Himbeeren liess er stehen. Auch die Schale Kaffee blieb unberührt. Karl der Herzensgute stand am Fenster, blickte auf sein Reich hinaus und dachte nach. Und weil er so viel nachdachte, hatte er keine Zeit um zu essen und keine Zeit um zu trinken. Auch am Mittag und Abend ass und trank er nichts. So ging das drei Tage lang. Und zum allerersten Mal zogen Sorgen in das kleine Königreich im tiefen Wald ein. Der Zwerg Zino, der wie alle Zwerge ein guter Koch war, wunderte sich sehr und fragte: „Herr König, schmeckt euch mein Essen nicht mehr?“
„Dein Essen ist wie immer wunderbar“ antwortete der König. „Doch ich habe keine Zeit um zu essen, ich muss nachdenken!“
Zino nahm die gefüllten Schüsseln wieder mit sich und beschloss der Waldfee Wilma, die ihm ab und zu in der Küche half, von der Nachdenklichkeit des Königs zu berichten.
Wilma hatte einen ganzen Korb voll mit frischen Kräutern und Waldbeeren gesammelt. Den brachte sie zum kleinen König und sprach: „Seht her, ich habe würzigen Bärlauch, Brunnenkresse vom Bach und süsse Beeren. Mein König, macht der Duft der Früchte des Waldes euch keinen Appetit?“
Karl der Herzensgute seufzte, atmete tief ein und antwortete: „Meine liebe Wilma, der Duft der deinem Korbe entströmt ist wirklich wundervoll. Aber ich habe keine Zeit um zu essen, ich muss nachdenken.“
Wilma kratzte sich hinter dem Ohr, das hilft nämlich sehr gut wenn man nachdenken möchte, stellte sich neben den König ans Fenster und fragte: „Über was müsst ihr denn nachdenken? Vielleicht hilft es, wenn ich auch nachdenke? Dazu sollte ich aber wissen über was ich nachdenken soll.“
„Ach weisst du“ sagte Karl der Herzensgute „den lieben langen Tag regiere ich hier allein. Es wäre so schön, wenn ich die Arbeit mit einer Königin oder Prinzessin teilen könnte. In meinem Reich gibt es aber keine Königin, noch nicht einmal eine Prinzessin! Ich denke darüber nach, wie ich das ändern kann.“
Jetzt kratzte Wilma sich hinter beiden Ohren. Das wirkte, denn nach kurzer Zeit hatte sie eine Idee! „Ich glaube, ich kann dir helfen lieber König. Lass mich nur machen!“ Sie lief flink in die Küche, packte Zino an der Zipfelmütze und zog ihn mit sich. Und hast-du-nicht-gesehen sausten die beiden davon, mitten hinein in den tiefen Wald.
„Hoppla, wo hinaus so geschwind?“ rief Benno, der grüne Baumelf, als Wilma und Zino an ihm vorbei eilten. „Keine Zeit lieber Benno, keine Zeit, wir müssen zu Max! Wenn wir ihn gefunden habe, kommen wir wieder!“
Benno, der schon immer sehr neugierig, aber auch etwas faul war, wollte erst hinterher laufen, beschloss dann aber geduldig zu sein, denn mit dem Laufen hatte er es nicht so. Also wartete er auf die Rückkehr der Freunde.
Die hatten in der Zwischenzeit den kleinen See im tiefen Wald erreicht, an dessen Ufer Max der Magier wohnte. Der sass auf einem Felsen am Wasser und zauberte vor sich hin:
„Simsalabumba samsulun holter dipolter murgetum,
die Sonne scheint, es ist so heiss, ich brauche Schokoladeneis!“
Und schwupps, hatte er einen grossen Topf mit köstlichem Eis vor sich stehen. Zino und Wilma begrüssten Max freundlich. Max freute sich über den unerwarteten Besuch:
„Simsalabumba samsulun holter dipolter murgetum,
Löffel brauch, ich schnell herbei, nicht ein, nicht zwei, am besten drei!“
Er gab jedem einen Löffel, damit sie das Eis zu dritt aufessen konnten. Wilma wollte jedoch zuerst eine Frage loswerden: „Was meinst du Max, der kleine König ist so nachdenklich, dass er vor lauter Nachdenken nichts mehr essen kann. Er wünscht sich so sehr eine kleine Königin, die mit ihm das kleine Land im tiefen Wald regiert und er weiss nicht wie sich dieser grosse Wunsch erfüllen soll. Deshalb denkt er und denkt und denkt …, kannst du nicht helfen?“
Max überlegte, Zino überlegte und Wilma überlegte. Alle drei liefen rund um den Eiskübel herum, denn beim gehen denkt es sich besser. „Natürlich könnte ich eine kleine Königin zaubern“ meinte Max, „aber das wäre nicht richtig, wer weiss ob die mit unserem herzensguten kleinen König regieren möchte.“
„Das kann man ja nie wissen“ sagte Zino und Wilma stimmte ihm zu. Wilma hatte eine Idee: „Vielleicht kannst du die Nachdenklichkeit des Königs wegzaubern?“
„Auch das wäre nicht richtig“, Max schüttelte den Kopf, „dann müsste er ja immer verzaubert bleiben, sonst kommt die Nachdenklichkeit zurück.“
Mittlerweile hatten sie das ganze Eis aufgegessen, aber keine Idee zur Lösung des Problems. „Benno habe ich ganz vergessen. Ihn habe ich noch nicht gefragt“ sagte Wilma. „Kommt mit, er wartet sicher schon.“ Zino und Wilma machten sich auf den Rückweg. Max kam mit.
Sie trafen den Waldelf an seinem gewohnten Platz. Benno trippelte schon ganz aufgeregt hin und her, weil er so neugierig war. Die drei Freunde erzählten ihm vom nachdenklichen kleinen König Karl, der vor lauter Nachdenken nichts mehr essen konnte und sie erzählten was ihnen bisher eingefallen war um das Problem zu lösen. Aufmerksam wiegte Benno seine Baumkrone, Wilma kratzte sich hinterm Ohr, Zino lief im Kreis und Max murmelte Zaubersprüche vor sich hin. Langsam wurde es dunkel im tiefen Wald. Gerade als die Sonne verschwunden und der Mond über der höchsten Tannenspitze aufgegangen war, kam Gabi, ein Mädchen aus dem Dorf auf die Lichtung des Waldelfs und sah die nachdenkliche Versammlung. „Ach du liebe Zeit, was habt ihr denn?“ fragte sie lächelnd. Benno begrüsste sie und meinte: „Ein Glückskind wie du hat sicher nicht solche Sorgen wie sie unseren kleinen, herzensguten König plagen. Er denkt nach, woher eine Königin für sein kleines Reich kommen könnte.“
„Wozu braucht er denn eine Königin?“ fragte Gabi. „Wozu?“ meldete sich Zino, „zum regieren natürlich. Das muss er doch immer ganz alleine machen. Wenn wir wenigstens eine Prinzessin finden könnten …“
„Paperlapapp, man braucht doch keine Königin oder Prinzessin um regieren zu können.“ Gabi lachte, „dazu muss man ein guter Mensch sein und sein Volk glücklich machen, aber doch nicht Prinzessin sein!“
Jetzt mischte sich der Magier ein: „So, so, du glaubst ein glücklicher Mensch wäre das Richtige für unseren kleinen König?“
„Ja, das glaube ich“.
„Nun, dann lasst uns das doch ausprobieren“ Wilma nahm Gabi an der Hand und ging mit ihr los. „Wohin wollt ihr denn“ riefen die anderen. „Zum Schloss“ sagte Wilma. „Der kleine König möchte nicht allein regieren und unsere Gabi ist ein Glückskind. Unser kleines Königreich soll wie bisher von Karl dem Herzensguten regiert werden und mit einem Glückskind an seiner Seite kann nichts schief gehen. Was meint ihr?“
„Holter dipolter murgetum“ murmelte Max, „welch genialer Einfall!“ Und so zogen Gabi und die Freunde zum kleinen König. Der staunte erst und dann ass er drei Portionen Spaghetti, so sehr freute er sich. Von diesem Tage an kam das Glückskind Gabi jeden Morgen ins Schloss um dem kleinen König beim regieren zu helfen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, regieren sie heute noch das kleine Land im tiefen Wald.
ENDE