Wie kann ich die Backstory meines Romans in Dialoge packen?
Inhalt
Am vergangenen Mittwoch hatte ich ein Coachinggespräch mit der talentierten Polizistin und Nachwuchsautorin Julia. Sie schreibt einen Krimi im Mafia- und Geheimdienstmilieu, in dem es richtig spannend zugeht.
Beim letzten Mal hatten wir uns über ihre Plotidee und die zentralen Figuren der Geschichte unterhalten. Dabei kam heraus, dass sie ihren Helden (Martin) als «sympathischen Verlierer» anlegen wollte. So einen, der vom Leben gebeutelt ist, sich manchmal selbst im Weg steht, aber das Herz am rechten Fleck hat.
Und am Mittwoch wollte sie dann wissen, wie sie ihren Leser:innen diese Hintergrundinformationen zu Martins Lebensgeschichte am besten unterjubeln kann. Ein Dialog, meinte sie, wäre vielleicht ein geeignetes Gefäss, um Martins Charakter zu beschreiben, bevor die Story richtig losgeht.
Den Begriff Backstory hat sie zwar nicht benutzt. Aber so nenne ich sie, die Hintergründe, von denen Autor:innen meinen, ihre Leser:innen müssten sie erklärt bekommen, bevor sie sich auf die Geschichte einlassen können.
Wohin sollen Sie die Backstory packen?
Die Pointe nehme ich jetzt mal vorweg: Die Backstory packen Sie am besten zum Altpapier.
Die ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Natürlich muss Ihr Leser die Hintergründe erfahren, die Ihre Figuren prägen. Aber das soll elegant und nebenbei passieren, nicht in eigens dafür erfundenen Szenen oder gar Kapiteln.
Die meisten richtig guten Romane enthalten überhaupt keine Backstory. Was ich wissen muss, um die Geschichte zu verstehen, ergibt sich einfach aus der Handlung. Denn was die Figuren früher mal erlebt haben, wird sich doch in ihren Werthaltungen, Ängsten und Vorlieben zeigen. Das taucht ganz nebenbei während der Ausarbeitung des Handlungsbogens auf:
- als Gewohnheit
- als Verhaltensmuster
- als Sprachtick
- in der Wahl ihrer Kleidung
- durch ihre Gebrechen
- durch ihre gewachsenen Fähigkeiten
- durch ihre Vorlieben
- durch ihr Wohnungsambiente
- durch ihre Marotten
oder sonst ein raffiniertes Detail.
Damit Sie mir das glauben, zeige ich Ihnen jetzt ein Beispiel mit und ohne Backstory und Sie entscheiden dann, was Sie lieber lesen wollen.
Beispiel: Einstieg mit Backstory in Dialogform
Als Dialog verpackt klingt die Backstory von Julias Geschichte vielleicht wie dieses Gespräch von Gabi und Marion:
Gabi: «Gestern habe ich Martin auf der Strasse getroffen. Du weisst doch, der hoch Gewachsene mit dem verschlossenen Gesicht, der immer seine Tochter von der Schule abholt.»
Marion: «Ach ja, der …. Der früher eine richtige Stimmungskanone auf den Kindergartenfesten war und jetzt kaum mehr den Mund aufbekommt.»
Gabi: «Genau der.»
Marion: «Ich habe gehört, wie er sich mit der Lehrerin unterhielt. Seine Tochter ist wohl sehr ruhig geworden in der Schule und dann hat er erzählt, dass seine Frau mit ihrem Teamkollegen durchgebrannt ist.»
Gabi: «Das glaub ich ja nicht.»
Marion: «Doch – und dann kam das Beste: Er hatte erst vor ein paar Monaten seinen Job auf halbtags umgestellt, damit die Frau ihr Pensum aufstocken kann und jetzt ist sie mit einem Kerl abgehauen, den sie in ihrem neuen Job kennengelernt hat.»
Gabi: «Kein Wunder, dass der nichts zu lachen hat.»
Mission erfüllt. Durch die Unterhaltung zwischen Marion und Gabi wissen wir jetzt: Martin ist ein armer Teufel, der für Frau und Kinder alles tut und zum Dank dafür von seiner treulosen Ehefrau verlassen wurde.
Aber geht das nicht ein bischen raffinierter? Bestimmt. Bleiben Sie dran.
Die Idee zu unserer Geschichte
Nehmen wir an, Martin sei nicht nur ein genarrter Ehemann, sondern ein unfreiwilliger Held, der unversehens in eine Auseinandersetzung zwischen der Mafia und dem amerikanischen Geheimdienst gezogen wird.
Wir wollen ihn als netten Familienmenschen zeigen, damit unsere Leser:innen ihn mögen. Er soll verlassen werden, damit sein Leben noch ein wenig schwieriger (und damit interessanter) wird und seine Tochter soll erwähnt werden, weil damit die Möglichkeit aufscheint, dass die bösen Buben sie entführen könnten, um ihn gefügig zu machen.
Die ganze Geschichte kommt in Gang, als Martin per Post eine DVD erhält, auf der die Aufzeichnung einer Überwachungskamera zu sehen ist. Das Video zeigt zwei Männer, die einen dritten Mann erschiessen und dann in den Kofferraum ihres Wagens zerren. Die DVD hat ihm sein Freund Beat über einen Anwalt geschickt. Falls Beat etwas zustösse, sollte Martin die Aufzeichnung an die Polizei weiterleiten.
Damit ist klar: Sobald Martin die DVD erhält, ist sein bequemes altes Leben vorbei.
Jetzt formulieren wir den Einstieg in diese Geschichte und weben die ehemalige Backstory ganz nebenbei in die Handlung ein:
Kaum hört sie seine Schritte an der Türschwelle, lässt Maja ihren Plüschhasen fallen, springt die Treppe hinab, stürmt zur Haustür und wirft sich ihrem Vater in die Arme.
«Hallo Schnecke. Du rennst mich ja fast um.»
«Schnecken rennen doch nicht.», lacht Maja.
Sie schüttelt den Kopf, drückt ihm einen Willkommenskuss auf die Wange und zerrt ihn in den Flur.
«Du hast auch einen Brief bekommen. Omi will nicht, dass ich reingucke.»
«Aha.»
«Aber ich weiss, was drin ist. Ein Film nämlich. Das kann ich fühlen. Gucken wir den Film zusammen?»
«Ein Film? Das kann nicht sein. Lass mal sehen.»
Maja flitzt in die Küche und kommt mit einem braunen Briefumschlag zurück. Er ist gepolstert und hat die richtige Grösse. Auf dem Umschlag klebt ein weisses Etikett mit handgeschriebener Adresse. Seiner Adresse. Kein Absender, aber die Handschrift kommt ihm bekannt vor. 3 Euro 70 Porto. Der Brief kommt aus Deutschland ...
Jetzt haben wir den grössten Teil der Backstory einfach in die Szene eingebaut, die wir sowieso schreiben müssen, um die Agenten- und Mafiageschichte in Gang zu bringen.
Fehlt nur noch die treulose Ehefrau, die dem Mann noch einen Mitleidsbonus mitgibt, damit wir umso leidenschaftlicher mit ihm fiebern.
Wie könnte das klingen?
Ihre Aufgabe:
Schreiben Sie die Szene weiter, damit wir lernen, was von der Ehefrau zu halten ist. Und dann schicken Sie mir Ihren Vorschlag an matthias.wiemeyer(at)schreibszene.ch. Im Februar-Newsletter werde ich die besten Einsendungen vorstellen und ausserdem hier unter dem Artikel veröffentlichen (wenn Sie das möchten).
Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.
Danke.
Das wars für heute.
Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer