Verständliches Schreiben hat vier Dimensionen.
In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts begannen Psychologen, die Merkmale der Textverständlichkeit systematisch zu untersuchen. So entstand das Hamburger Verständlichkeitsmodell. Danach hängt die Textverständlichkeit von vier Merkmalen ab:
- Einfachheit
- Gliederung/Ordnung
- Kürze/Prägnanz
- Anregende Zusätze
Die Skala
Wer die Verständlichkeit eines Textes beurteilt, bewertet jedes dieser Merkmale entlang einer 5er-Skala:
Um die Bewertung entlang der Skala anschaulicher und einheitlicher zu machen, haben die Erfinder des Modells einen Bewertungsrahmen definiert (siehe unten).
++ |
+ |
0 |
- |
-- |
Die Wertung «++» ist angemessen, wenn der Text der linken Seite des Rahmens voll entspricht. Trifft die rechte Seite genau zu, dann ist die Wertung «–». Die Wertungen «+», «0» und «-» kommen zum Zug, wenn der Text zwischen den Extremen liegt.
Die folgenden Kriterienpaare bilden den Bewertungsrahmen des Modells:
Einfachheit
einfach heisst: | kompliziert heisst: |
kurze, einfache Sätze | lange, verschachtelte Sätze |
geläufige Wörter | ungeläufige Wörter |
Fachwörter erklärt | Fachwörter nicht erklärt |
Konkret, anschaulich | abstrakt, unanschaulich |
Gliederung/Ordnung
gegliedert und geordnet heisst: | ungegliedert heisst: |
folgerichtig | zusammenhanglos, wirr |
übersichtlich | unübersichtlich |
gute Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem | schlechte Unterscheidung |
der rote Faden bleibt sichtbar | man verliert den roten Faden |
alles kommt der Reihe nach | alles geht durcheinander |
Kürze/Prägnanz
kurz und prägnant heisst: | weitschweifig heisst: |
aufs Wesentliche beschränkt | viel Unwesentliches |
gedrängt | breit |
konzentriert | abschweifend |
knapp | ausführlich |
jedes Wort notwendig | vieles hätte man weglassen können |
Anregende Zusätze
mit anregenden Zusätzen heisst: | ohne anregende Zusätze heisst: |
anregend | nüchtern |
interessant | farblos |
abwechslungsreich | gleichbleibend neutral |
persönlich | unpersönlich |
Aber:
Das Hamburger Verständlichkeitsmodell beschreibt, wie ein Text gemacht sein soll, damit er besonders leicht verständlich ist. Dennoch sind Sie nicht immer gut beraten, den optimal verständlichen Text zu schreiben. Wenn Ihr Text sich ausschliesslich an Fachleute richtet, könnten Sie Ihr Publikum mit Erklärungen zu Fachbegriffen leicht verärgern. «Für wie dumm hält der mich eigentlich?», denken Ihre Leser dann.
Sprache hat auch eine soziale Dimension. Sie grenzt den inneren Kreis der Eingeweihten von staunenden Zuschauern ab. Ärzte, Ingenieure und Wissenschaftler haben Jahre gebraucht, um die Fachbegriffe und sprachlichen Marotten ihres Fachs zu erlernen. Weil es ihnen gelungen ist, gehören sie jetzt dazu. Sofort erkennbar an der Art, wie sie reden und schreiben. Wenn Sie wie einer schreiben möchten, der dazugehört, müssen Sie auch die (manchmal ärgerlichen) Eigenheiten der Fachsprache übernehmen.
Akademiker Kauderwelsch und «Leichte Sprache»
Zwei Beispiele illustrieren das Spektrum der Verständlichkeit – von unerträglich verknorzt bis ultraleicht.
Sehr schwer verständliche Texte finden sich zum Beispiel bei Juristen und Soziologen. Aus einem Vorlesungsverzeichnis eines soziologischen Institutes stammt dieser Text:
«… Kommunikation, Kommunikationsmedien und Kommunikationstechnologien sind zu dominanten Phänomenen der modernen Gesellschaft geworden. Um bedeutungsvolle gesellschaftliche Trends und Phänomene … verstehen und analysieren zu können, muss auf die Rolle von Kommunikationsmedien im Rahmen der Ausbildung einer in Funktionsbereiche differenzierten Weltgesellschaft Bezug genommen werden. Dabei ist ein umfassender, gesellschaftswissenschaftlicher Zugang erforderlich, der aktuelle Trends historisch rekonstruiert und diese als Grundlage für die Einschätzung möglicher Entwicklungen nutzen kann.»
Die Hauptaufgabe dieses Textes ist wohl, dem Ego der Autoren zu schmeicheln und die Studenten einzuschüchtern. Sonst hätten die Autoren einfach schreiben können: «In dieser Vorlesungsreihe untersuchen wir, wie die Kommunikationsmedien die Weltgesellschaft verändern.»
Das andere Extrem ist die «Leichte Sprache». Was das ist, beschreibt der Verein «Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Bremen e.V.» in leichter Sprache:
Ein Mensch mit geistiger Behinderung
hat oft Schwierigkeiten.
Zum Beispiel: Weil der Vortrag zu schwer ist.
Oder beim Kochen, die Rezepte lesen.
Oder der Fahrplan ist zu schwierig.
Seit ungefähr 1995 wollen mehr Leute
etwas daran ändern.
Seitdem ändert sich auch einiges.
Zum Beispiel gibt es
einen Verein von selbst Betroffenen:
Er heisst: Mensch zuerst Deutschland.
In dem Verein sind nur
Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.
Sie machen sich stark für Menschen mit Behinderung:
Zum Beispiel, dass es mehr in Leichter Sprache gibt.
Und was alles leichter werden muss. …
Leichte Sprache hat viele Regeln.
Zum Beispiel: kurze Sätze, einfache Wörter
und bestimmte Schriften.
Wichtig ist auch, dass jeder Text geprüft wird.
Das machen Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.
Denn nur sie können sagen,
ob der Text leicht genug ist.
Oder wo es noch zu schwer ist.
Also: Wo es Hindernisse gibt.
Ihre Texte liegen wahrscheinlich irgendwo zwischen diesen Extremen.
Das ist auch gut so. Der sinnfrei aufgeblasene Soziologenjargon ist nie eine gute Wahl. Es sei denn, Sie streben ein Soziologie-Examen an. Dann müssen Sie mit den Wölfen heulen.
Auch die «Leichte Sprache» ist nur dann geeignet, wenn Sie für Menschen mit Lernschwierigkeiten schreiben oder für Personen, die nur wenig Deutsch verstehen. Oder wenn Ihre Texte unter Extrembedingungen verständlich sein müssen – wie die Bedienungsanleitung eines Feuerlöschers.
Für alle anderen Situationen ist die «Leichte Sprache» zu einfach gestrickt. Zu leichte und zu schwere Sprache – beides kann Ihre Leser verärgern.
Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.
Danke.
Das wars für heute.
Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer