Der Krimi spielt in Zürich und dreht sich um die Lehrerin Elaine, die den mysteriösen Tod einer Schülerin miterlebte und ihre Vermutungen in einem Roman verarbeitete. Als Jahre später eine weitere ehemalige Schülerin stirbt – nach dem Muster aus Elaines Buch –, bricht die Vergangenheit wieder auf. Doch wer ist hier eigentlich schuldig?
«Es ist ja nicht immer alles schwarz und weiss», erklärt Kern ihren Ansatz, dass keine ihrer wenigen involvierten Figuren komplett schuldig oder unschuldig sind. «Mich fasziniert das Zwischenmenschliche, das Ungesagte, die leisen Töne zwischen den Zeilen.» Ihr Krimi ist kein klassischer Whodunit, sondern ein Whydunit – eine psychologische Spurensuche nach den Motiven und inneren Konflikten der Figuren. «Was hat den Täter angetrieben? Was ist im Vorfeld passiert?» Diese eher ungewöhnliche Perspektive der Charakterstudie statt Detektivarbeit hat offenbar auch den Verlag überzeugt.
Der eigene Rhythmus
Aber wie findet man als Autorin zu diesem psychologischen Tiefgang? Kern hat über die Jahre gelernt, ihrem ganz eigenen Schreibrhythmus zu vertrauen. «Ich schreibe organisch», erzählt sie. «Ich wünschte, ich könnte strikt plotgesteuert schreiben, dann wäre ich wahrscheinlich schneller, aber ich habe anfangs lediglich eine Vision, die mich antreibt. In meinem kreativen Prozess bin ich eher Entdecker als Architekt. Die Geschichte reisst mich mit. Es kommt ein Punkt, wo die Romanfiguren eine Eigendynamik entwickeln und quasi die Regie übernehmen.»
So ist es wohl bei vielen bekannten Autoren. Sie folgen der Verlockung einer originellen Idee, machen die ersten Schritte und werden dann in den Strudel gezogen, den sie selbst in ihrem Kopf angezettelt haben. «Ich schreibe zuerst in Gedanken, es sind Puzzleteile, die ich herumschiebe und dann nach und nach zusammensetze», beschreibt Kern ihren Prozess. «Zuerst muss der Tank gefüllt werden: ich geh raus, nehme auf, beobachte das Umfeld. Bis irgendwann das Fass mit Eindrücken überläuft und ich in den Flow komme.»
Manchmal fühlt sich das «Tank füllen» an wie ein Stillstand. Dabei läuft unterbewusst einiges ab. Kiara Kern sagt dazu: «Eine Schreibblockade hat oft einen Grund. Irgendetwas ist am Arbeiten. Wenn die Zeit reif ist, wird der Schreibfluss kommen.»
Morgens das Wichtigste
Kern hat für sich einen Rhythmus entwickelt, der diese natürlichen Schwankungen berücksichtigt. «Ich versuche, gleich zu Tagesbeginn das Wichtigste unterzubringen, und regelmässig zu schreiben – auch wenn es mal nicht so gut läuft.» Die lästigen Alltagspflichten schiebt sie auf den Nachmittag. Der Morgen ist ihr gewissermassen heilig – andere Verpflichtungen müssen warten. Der Garten sieht dann eben mal nicht so gut aus.
«Wenn ich im Flow bin, vergesse ich die Zeit», beschreibt sie diese intensiven Schreibphasen. Aber sie hat auch gelernt, dass man diese Momente nicht erzwingen kann. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Projekt: «Ich bin noch am Tank füllen», lacht sie.
Der lange Weg zum Verlag
Ihr Weg in einen bekannten Verlag war alles andere als geradlinig. «Dranbleiben, nie aufgeben», fasst Kern ihre wichtigste Erkenntnis zusammen. «Es ist ein Hürdenlauf, ein Marathon. Ich habe mein Ziel in kleinen Schritten erreicht». Anfänglich publizierte Kern bei einem Hybrid-Verlag, Jahre später kam sie bei einem Schweizer Kleinverlag ins Programm, aktuell bei einem grösserem deutschen Publikumsverlag.
«Handwerk. Herzblut. Eigene Autorenstimme finden. Es braucht harte Arbeit, man muss immer dazulernen, sich weiterentwickeln», betont sie. Besonders das Exposé war für sie eine Herausforderung: «Ich finde das beinah schwieriger, als einen Roman zu schreiben. » Anstatt sich ausgiebig in Details zu verlieren, muss beim Exposé die Essenz der Geschichte auf wenige Seiten komprimiert werden.
Kerns Strategie für die Manuskriptarbeit: «Ich habe die Rohfassung diesmal noch viel länger überarbeitet, gefühlt tausendmal, immer wieder Pausen eingelegt, Wochen später mit kritischem Blick neu betrachtet.» Ein Faktor sei auch das Timing beim Einsenden des Manuskripts: Während Buchmessen, in den Sommerferien oder Ende Dezember werden Manuskripte eher nicht gelesen. Man sollte sich deshalb vorinformieren - aber es sei sowieso mit längerer Wartezeit zu rechnen. Dabei hilft dieser entscheidende Gedanke: «Es braucht nur eine Person, die an euch glaubt. Und das seid ihr selbst.»
Weiterlernen auch nach dem Erfolg
Bemerkenswert ist, dass Kern auch nach ihrem Verlagserfolg weiter an sich arbeitet. Den Kurs «Spannend erzählen» bei Krimi-Autorin Christine Brand buchte sie, obwohl ihr Manuskript bereits angenommen war. «Es geht beim Schreiben darum, dazuzulernen. Was gibt es Besseres, als vom Profi zu lernen?»
Kern schätzte besonders den Austausch: «Man ist halt wirklich allein mit sich und seiner Geschichte. Es tut einfach gut, mal andere Ansätze zu hören, sich auszutauschen.»
Vertrauen in den Prozess
Was bleibt von diesem Gespräch? Kerns «Tank füllen»-Metapher, ihr Verständnis für das Wechselspiel zwischen unbewusster Produktivität hinter den Kulissen und dem Flow-Erlebnis des Schreibens, wenn der Speicher voll ist und die gesammelten Inputs endlich zu Kapiteln verarbeitet werden. Ihre Geschichte vom Hybrid-Verlag zum Publikumsverlag. Die Gewissheit, dass auch erfahrene Autorinnen sich weiterentwickeln.
Für ihr nächstes Projekt mit der «etwas untypischen Hauptfigur» ist der Tank noch nicht voll. Aber nach allem, was sie über ihren Prozess erzählt hat, können wir sicher sein: Wenn es so weit ist, wird sie es merken. Und dann läuft das Fass über.
Kiara Kerns Zürich-Krimi «Und mittendrin die Limmat» ist im April 2025 bei Emons erschienen. Mehr Informationen auf www.kiarakern.com
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Das wars für heute.
Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer