Aber meistens sind sie fehl am Platz.
Drei Viertel aller Adjektive gehören weggesperrt.
Das ist für viele Schreiber:innen eine bittere Lektion. Die Adjektive sind so schnell zur Hand, um eine Wischiwaschi-Formulierung zurechtzubüscheln. Es ist anstrengende Denkarbeit, gleich so zu schreiben, dass es die Sache mitten ins Herz trifft.
Doppelt gemoppelte Ärgernisse
Oft sind sie einfach überflüssig; doppeln nach, was wir längst wissen:
«Der Winter war kalt.»
Es ist keine Neuigkeit, dass der Winter kalt ist. Ein ungewöhnlich warmer Winter; das wäre etwas.
Aber ein kalter Winter, der auf einen stürmischen Herbst folgt, dem ein warmer Sommer vorausging? Das ist das normale Wechselspiel der Jahreszeiten. Das denken wir uns schon. Auch ohne Adjektive.
«Aber der Winter war wirklich ganz doll kalt!», werfen Sie ein. Das dürfe man wohl noch schreiben. Zum Beispiel so:
«Der Winter war bitterkalt.»
Schon besser. Wie es scheint, war der Winter ungewöhnlich kalt. Nicht nur so normal kalt, wie wir es schon ahnten.
Aber der Satz bleibt blass. Er zeigt uns keine Bilder. Wir möchten Eisblumen auf den Fensterscheiben sehen, eingefrorene Wasserleitungen, streikende Anlasser. Dann hat unsere Phantasie etwas zum Ausmalen. Und wir wissen erst noch, warum die elende Kälte überhaupt zum Thema wird.
Lesen Sie hier, wie Joseph von Eichendorff in seiner Autobiografie den Winter 1787/88 beschreibt:
So streng war der Winter, dass die Schindelnägel auf den Dächern krachten, die armen Vögel im Schlaf von den Bäumen fielen und Rehe, Hasen und Wölfe verwirrt bis in die Dörfer flüchteten.
So geht das.
Schlampig nachgebessert
Neben den überflüssigen Adjektiven gibt es noch die Flickschusterei an schlampig zusammengeschobenen Sätzen. Wo die Wörter so gedankenlos gegriffen sind, dass keins den Kern der Sache trifft. Dann müssen Adjektive den zu breiten Wörtern die Taille schnüren und den zu flachen Wörtchen ein paar Polster unterschieben. Wir belauschen einen Dialog:
«Schreib doch: ‹Das Auto fuhr vorbei.›»
«Das tönt viel zu langweilig. Es war so ein schnittiger Flitzer.»
«Dann eben: ‹Der Flitzer fuhr vorbei.›»
«Nein. Das trifft es immer noch nicht. Ich schreibe ‹Der Porsche donnerte die Strasse hinab; dass die Fensterscheiben klirrten und Oma Evelyn vor die Haustür trat, um nachzusehen, wer so viel Radau macht.›»
Machen Sie es auch so. Nehmen Sie die aussagekräftigen Nomen, die das beschreibende Adjektiv entbehrlich machen und die Sache erst noch besser treffen. Und schreiben Sie anschaulich; zeigen Sie uns Details, die in unserer Vorstellung zu Bildern werden. Das ist viel interessanter.
Mit Partner als Floskel
Verbreitet ist der Gebrauch von Adjektiven auch in gängigen Floskeln. Beispiele sind «eklatante Verstösse», «gravierende Störungen» oder «tiefe Trauer».
Derart abgegriffene Adjektiv-Substantiv-Kombinationen geben keinen Schmuck für Ihren Text ab. Meist fahren sie besser, wenn Sie diese Adjektive ersatzlos streichen. Und wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, das Besondere der Verstösse herauszustellen, suchen Sie eine frische Formulierung. Eine, die wir nicht schon dutzendmal gehört haben, die uns aufregt und neugierig macht:
«Seit 15 Jahren – in 232 Einzelfällen – hat das St. Galler Unternehmen ... gegen seine Meldepflichten verstossen ...»
Endlich doch: Hier glänzt das Adjektiv
Es gibt Situationen, in denen Adjektive unentbehrlich sind. Das sind Unterscheidungen und Vergleiche:
«Der asiatische Aktienmarkt legte mehr zu als der europäische.»
«Soll ich die rote oder die blaue Bluse einpacken?»
Auch bei Wertungen können Adjektive nützlich sein:
«Die Musik war ihm zu laut.»
Und wenn sie originelle Wortverbindungen eingehen, sind sie zuweilen echte Juwelen:
«Der Vertreter hielt mir ein sturmerprobtes Lächeln hin.»
«Ihre penetrante Bescheidenheit geht mir auf die Nerven.»
Vergleiche, Wertungen und originelle Verbindungen – das sind die drei Fälle, in denen Adjektive Ihren Text zum Strahlen bringen. 90 % sollten in diese drei Kategorien fallen. Eine Messerspitze mehr ist noch erlaubt. Aber dann muss Schluss sein.
Adjektive sind eine Landplage geworden. Wie Unkraut quellen sie aus tausend Ritzen und verprellen die Neugierde Ihrer Leser. Geizen Sie, dann liegen Sie richtig.
Und das sagt Mark Twain zum Thema:
«Wenn Sie ein Adjektiv sehen, töten Sie es. Vielleicht nicht in jedem Fall. Aber töten Sie die meisten – dann ist der Rest wertvoll. Adjektive schwächen Ihren Text, wenn sie zu dicht stehen. Sie geben Kraft, wenn sie viel Raum zwischen sich haben.» (Aus einem Brief an D. W. Bowser, einem damals 12-jährigen Schuljungen aus Texas, mit dem Twain ab 1880 einen zweijährigen Briefwechsel pflegte – Übersetzung Matthias Wiemeyer)
Das Salz in der Suppe
Adjektive sind das Salz in der Suppe. Ohne geht es nicht. Aber es braucht nur sehr wenige, damit die Suppe schmeckt. Die meisten Köche versalzen ihre Texte. Aber Sie nicht. Sie wissen es jetzt besser.
Merke: Der französische Verleger und Staatspräsident Georges Clemenceau (gest. 1929) hatte in seiner Redaktion die folgende Regel: «Wenn Sie ein Adjektiv verwenden wollen, so kommen Sie zu mir in den dritten Stock und fragen, ob es nötig ist.»
Übung: Adjektive ausmisten
Nehmen Sie einen Ihrer Texte. Einen, der Ihnen langatmig und schwerfällig vorkommt. Dann löschen Sie im ersten Schritt alle (!) Adjektive. Lesen Sie den Text danach noch einmal durch und fügen Sie im zweiten Schritt nur die Adjektive wieder ein, die absolut unverzichtbar sind. Sie werden erleben, wie Ihrem Text Flügel wachsen.
Nachfolgend ein paar missglückte Texte mit zweifelhaften Adjektiven. Machen Sie sie besser:
Die gelbe Sonne stand am blauen Himmel und schien ihm ins Gesicht. Da setzte er die dunkle Brille auf, um das grelle Licht abzuhalten. Jetzt erkannte er das hübsche Mädchen.
In der nachfolgenden Tabelle haben wir die besonders hervorstechenden Merkmale unseres innovativen Ansatzes übersichtlich dargestellt.
Immer schneller rast die gesamte Menschheit auf ein düsteres Ende zu.
Spezialfall Superlativ
Der Superlativ ist die maximale Steigerung des Adjektivs. Er passt genau dort, wo er stimmt. Wo verglichen wird und abgestuft und das höchste, schnellste, billigste oder teuerste benannt werden soll.
Aber der Superlativ ist auf den Hund gekommen. Er wurde zu oft vor den Karren des Alltäglichen gespannt. Weil in seinem Namen dauernd Mittelmässiges angepriesen wurde, schlägt ihm nur noch Misstrauen entgegen. Er ist «verbrannt».
Wenn Sie ihn doch benutzen möchten (weil Ihr Produkt eben Testsieger ist, die grösste Zuladung hat oder den niedrigsten Verbrauch) lassen sie ihn nicht allein im Regen stehen. Liefern sie die Fakten dazu, auf die Sie sich beziehen.
Das grösste Hochhaus? Am besten gleich noch die Höhe in Metern angeben und den Abstand zum zweithöchsten Hochhaus nennen. Wenn Sie das aussergewöhnlich Tolle Ihrer Aussage nicht nur behaupten, sondern überprüfbare Fakten mitliefern, steigt die Glaubwürdigkeit.
Superlative wirken nur bei sparsamer Verwendung. Wir wissen ja: Es gibt immer nur ein «grösstes …», «bestes …», «schönstes …». Und darunter die wimmelnde Vielfalt des Mittelmässigen. Daher glauben wir den Superlativ nur, wenn er sich selten zeigt.
Den Superlativ gibt es in seiner offensichtlichen Form («bester, schönster, grösster») und in getarnten Varianten (optimal, ideal, maximal, minimal, bestmöglich, einzig, einzigartig, unnachahmlich, beispielgebend …). Auch diese wirken nur bei sparsamem Gebrauch.
Merke: Die verborgenen Superlative drücken schon ein Maximum aus. Daher dürfen Sie sie nicht noch steigern. «Die optimalen Resultate» ist schon dick aufgetragen. Von den «optimalsten» Resultaten müssen Sie die Finger lassen.
Beispiel:
Unsere Berater verfügen über allerhöchste Kompetenz und sind jederzeit in der Lage, Ihnen ein optimales Angebot zu unterbreiten.
Besser wäre:
Unsere Berater kennen sich aus. Sie nehmen sich Zeit, Ihre individuelle Situation zu verstehen und machen Ihnen ein Angebot, das genau zu Ihren Bedürfnissen passt. Und so beurteilt der Finanztest unsere Beratung: ….
Der Superlativ im Übermass wird als schreiend, als unfeine Übertreibung oder schlicht als unglaubwürdig empfunden. Ein ansonsten guter Text, mit zu vielen Superlativen gespickt, tönt nach billiger Reklame.
Aufgabe: Entfernen Sie die plumpen Superlative und finden Sie eine elegante Möglichkeit, die Stärken ins Bild zu setzen.
Unser fünfstufiger Beratungsprozess genügt den höchsten Qualitätsansprüchen. Auch Sie werden begeistert sein.
Die besten Experten haben diesen innovativen Vorschlag ausgearbeitet.
Wir verfügen über bestens qualifizierte Mitarbeiter, die jeden Tag alles geben, um unsere Kunden glücklich zu machen.
Das Wichtigste im Schnelldurchlauf
- Drei von vier Adjektiven sind überflüssig, unbeholfen oder floskelhaft.
- Lassen Sie kein Adjektiv in Ihren Text, bevor Sie nicht die Alternativen geprüft haben.
- Bei Unterscheidungen und Vergleichen ist das Adjektiv eine gute Wahl.
- Auch bei Wertungen ist es oft nützlich.
- In originellen Verbindungen kann es Ihren Text bereichern.
- Superlative, die echten und die getarnten, dürfen Sie nur sehr sparsam verwenden.
Zu guter Letzt: Helfen Sie uns und teilen Sie diesen Artikel in den sozialen Medien oder per E-Mail. Wir haben kaum Budget für Werbung und sind auf Empfehlungen angewiesen.
Danke.
Das wars für heute.
Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer