Zauberzauberfidibus oder wie Gabi wieder zum Glückskind wird

Gabi ist traurig und flieht in denWald. Sie glaubt, sie sei schuld an allem. aber stimmt das wirklich?

Sabine Meisel

Zauberzauberfidibus oder wie Gabi wieder zum Glückskind wird

Es war ein ganz normaler Tag im Frühling. Die Knospen platzten auf und verströmten einen süssen Duft, die Kinder brauchten keine kratzigen Strumpfhosen anziehen, sondern konnten die Haut von der Sonne bescheinen lassen und durften ihre schicken Sonnenhüte anziehen. Alle hüpften fröhlich durch die Gärten, Spielplätze und die nahen Wälder.

Alle?

Nein. Nicht alle.

Gabi, das Glückskind war das unglücklichste Kind auf der Welt.

Gabi schmiss die Tür mit lautem Knall zu. Das störte ihre Eltern nicht weiter, sie warfen sich weiter schlimme Worte an den Kopf. Nochmals liess Gabi die Tür zu-krachen. Sie merkten immer noch nichts, dann rannte Gabi los.

Sie rannte so schnell, als würde sie verfolgt, schnurstracks in den nahen Wald. Ausser Atem, mit wild pochendem Herzen, setzte sie sich auf die Bank und wischte sich die Tränen. Ihren roten Fliegenpilzhut, der Lieblingshut, den sie sonst strahlend trug, hielt sie vor ihr Gesicht gepresst, so dass der Filz schon so viele Tränen aufgesaugt hatte, dass Gabi den Hut ab und zu auswringen musste.

Der Magier Max, der immer seine Runden im Wald drehte um Kräuter zu sammeln und die würzige Luft zu geniessen, hörte schon von weitem ihr herzerbärmliches Schluchzen.

„Hallo Glückskind, was ist denn mit Dir los. Wo ist denn das Glück hin?", er drehte sich suchend um, „Wo ist denn nur das Glück?" Er schaute auch unter der Bank auf der Gabi sass „So was aber auch, das Glück ist weg, die Gabi ist aber da." Er schaute sie fragend an.

Gabi schniefte weiter. Max der Magier wohnte zwei Häuser weiter und unterhielt sich oft mit ihr und ihrer Mama, Wilma der Waldfee.

Der Magier brachte sie immer mit seinen Spässen zum Lachen, doch diesmal konnte Gabi einfach nur weiterschluchzen.

Heieieie, Magier Max nahm Gabi die Glückspilzmütze aus der Hand, wrang sie aus, warf sie in die Luft und fing sie wieder mit einer Hand trocken auf. Dafür hielt er nun ein Glas mit köstlichem Saft in der anderen Hand. Mit einem gewundenen Strohhalm, der mit einem Schmetterling verziert war.

Erst jetzt merkte Gabi wie durstig sie gewesen war, ihr Mund war staubtrocken. Sie trank den erfrischenden Saft, der nach sonnigen Orangen schmeckte, mit einem Hauch Himbeeren und Heidelbeeren.

So einen guten Saft hatte sie noch nie zuvor gekostet und der Hut war schön trocken und sie setzte sich den gleich wieder richtig auf.

Der Magier schwieg und schaute in die Bäume, die das Sonnenlicht in feine Streifen zu ihnen hinunterschickte.

Nachdem sie den köstlichen Saft leergetrunken hatte, konnte sie plötzlich wieder reden:

„Sie streiten nur noch und schreien sich an. Mit schlimmen Schimpfwörtern." Sofort kullerten wieder Tränen von der Wange.

„Wer denn?", fragte der Magier.

„Ach, Max. Meine Mama Wilma und mein Papa Zino natürlich."

„Ach, ja die doofen Erwachsenen, sie machen das, was sie den Kinder immer verbieten. Schimpfwörter und laut schreien. Ja, Erwachsene, besonders Eltern, sind wirklich ein Grund zum Weinen."

„Ach Max. Sie wollen sich scheiden lassen" Gabi schluchzte wieder los, „und ich bin schuld."

„Was ein Quatsch, das passiert einfach den Erwachsenen, da kam ihre Liebe plötzlich abhanden, wie andern Leuten ein Stock oder Hut, das hat schon ein berühmter Schriftsteller, Erich Kästner, vor vielen Jahren gesagt, da können Kinder nichts dafür.", brummte Max. „Meine Eltern waren gar nicht erst verheiratet und sind nun schon seit 500 Jahren getrennt und das als Zauberer – fast hätten sie damals ihre Zauberlizenz abgeben müssen – und sehe ich vielleicht aus," Magier Max drehte sich stolz vor Gabi hin und her, „als wäre ich unglücklich oder sogar schuld? Kinder sind nie schuld, sie sind Kinder. Nö!"

Er fuhr fort: „Meine Mutter hatte sich verliebt. Sie wollte nicht mehr mit meinem Papa zusammen im Wald tanzen, nicht mehr im gleichen Bettchen schlafen".

Gabi schaute ihn überrascht an und flüsterte: „Mama hat sich in Benno, den Baumelf verliebt, sie würden besser zusammen passen". Das war Gabi besonders peinlich.

„Gegen die Liebe gibt’s kein Zauberkraut". Max der Magier nickte weise sein Haupt.„Dagegen gibt’s kein Kraut, aber gegen das andere, das Schimpfen, Schlechtmachen und an Dir rumzerren. Los, wir sammeln zusammen Kräuter, Gabi. Du bist meine magische Assistentin."

Gabi hüpfte erleichtert zwischen den Sonnenstrahlen hin und her.

„Schau, diese hier", Max der Magier zeigte auf Wiesen-Sauerampfer, über die Gabi gerade drüber getrampelt war, „das ist ein ganz tolles Kraut, die Seefahrer nahmen es gegen Skorbut. Das war eine teuflische Erkrankung bei der uns alle Zähne ausfallen. Der liebe Goethe hat es immer in sein Lieblingsessen getan, die grüne Sosse, deshalb wird er immer noch gelesen."

Gabi sammelt und sammelte, während der Magier Max mit den flachen Händen Kreise in die Luft zeichnete und Beschwörungsformeln flüsterte. Ein Topf flog durch die Luft und setzte sich mit Scheppern auf dem Waldboden ab, ein kleines Feuer brannte.

„Komm Gabi, ich bin soweit."

Das Wasser brodelte und Max gab aus einer kleinen Flasche drei Tropfen hinein und nahm aus dem Körbchen fünf Blätter Sauerampfer. „Das ist für Dich. Damit du immer das Schöne siehst."

Gabi leckte sich die Lippen, mittlerweile hatte sie auch Hunger bekommen. Die Suppe schmeckte leicht säuerlich und es waren kleine Wurststückchen darin. Die Wärme breitete sich wohlig in Gabi aus, sie kaute die feinen Stückchen, deren Haut viel zarter war und aromatischer schmeckten als jemals zuvor. Sie war Gabi, das Glückskind, sie lächelte Max zu.

Max der Magier, hielt ihr ein graues kleines Säckchen hin, das nach dem Sauerampfer roch. Es war so klein, dass es in jede ihrer Kleidertaschen passte. „Das ist dein Zauber zauber fidibus. Damit hören die Eltern auf zu streiten und den anderen schlecht zu machen, du musst nur die Formel leise flüstern, das Säckchen mit drei Fingern, Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger berühren und den letzten Teil laut aufsagen.

Pass auf Gabi:

Zauber Zauber fidibus-seid still, sonst klopft die Nuss. Zauber zauber Fidibus auf der Stelle ist jetzt mit dem Streiten Schluss.

Zauber zauber fidibus gebt der Gabi endlich einen Kuss.

Gebt der Gabi endlich einen Kuss sagst Du immer richtig laut, das davor lautlos."

Die Sonne war rotgolden geworden und taumelte langsam hinter die Berge. Gabi eilte nach Hause. In ihrer Faust hielt sie das Säckchen, ihre Zunge schmeckte immer noch den magischen Sauerampfer. Aber mit jedem Schritt, den sie näher an zu Hause kam, wurde ihr Herz schwerer, was konnte denn so ein kleines Säckchen ausrichten.

Von weitem hörte sie schon das Gezeter der Mutter und das Brüllen des Vaters. Mit lautem Krachen liess sie wieder die Haustüre zuknallen. Das störte die Eltern nicht weiter, sie hatten gar nicht gemerkt, dass sie über Stunden weg gewesen war. Keiner fragte sie, wo sie denn gewesen war.

Gabis Herz trommelte wie wild als sie vor ihren schimpfenden Eltern stand und die beiden Streithähne betrachtete. Vor ihren Augen erschien Max der Magier und er lächelte ihr aufmunternd zu. Das winzige Säckchen presste sie fest in ihrer Faust.

„Zauber Zauber fidibus-seid still, sonst klopft die Nuss. Zauber zauber Fidibus auf der Stelle ist jetzt mit dem Streiten Schluss", sprach sie lautlos, wie es ihr der Magier gesagt hatte.

Und laut sprach Gabi: „Zauber zauber fidibus gebt der Gabi einen Kuss."

„Du treulose Tomate, brüllte der Vater, du hast mir ewige Liebe versprochen." „Und du, was hast du mir alles versprochen", brüllte die Mutter.

Es wirkte nicht. Gabi spürte Tränen auf ihrem Gesicht. Doch dann erschien wieder das Gesicht von Max dem Magier, der den Kopf schüttelte: „Denk an die Finger"!

Nun presste Gabi Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger fest mit dem Säckchen zusammen, flüsterte lautlos: „Zauber Zauber fidibus-seid still, sonst klopft die Nuss. Zauber zauber Fidibus auf der Stelle ist jetzt mit dem Streiten Schluss."

Und laut sprach Gabi: „Zauber zauber fidibus gebt der Gabi endlich einen Kuss."

Die Eltern verstummten, wie wenn ein Radio abgestellt wurde und guckten sich verwirrt an. Sie räusperten sich, „Tut mir leid", sagten sie beide gleichzeitig und schauten Gabi entschuldigend an.

Zuerst packte sie der Papa und wirbelte sie nach dem dicken Kuss durch die Luft und als sie schwindelig am Boden stand, aber das Säckchen fest umklammert, küsste sie die Mama mit lautem Schmatz.

Papa Zino fragte: „Gabi, wollen wir was spielen gehen?", und nahm ihre Hand in seine. Mama setzte sich in den Sessel und schnappte sich das Telefon.

Es würde alles gut werden, dass sah sie ganz golden vor sich, ja es würde anders sein als vorher, aber sie hätte bald zwei Familien, statt nur eine und endlich Geschwister, mit denen sie richtig spielen konnte. Denn die Kinder vom Baumelf kannte sie schon von der Schule. Mit dem Sohn konnte sie super Fussball spielen und das Mädchen trug gerne rot genau wie sie. Gabi hatte sich schon immer Geschwister gewünscht, aber immer nur gleichaltrige, keine kleineren. Mama hatte immer gelacht, dass sie das doch nicht hinkriege, weil Gabi ihr erstes Kind sei, aber wie man sah, ging es doch.

Sie war wirklich Gabi das Glückskind, während sie mit einer Hand aus der Spielkiste den Lieblingsball fischte und mit der anderen ganz fest die Hand ihres Papas hielt.

ENDE