Hochzeitsfest im Elfenwald
König Karl ist bereits seit Jahren hoffnungslos in die bildhübsche Waldfee Wilma verliebt. Um ihr Herz zu erobern, ist ihm jedes Mittel recht …
Dörte Müller
Hochzeitsfest im Elfenwald
Warst du schon einmal in Schweden? Wenn nicht, will ich dir kurz davon erzählen. Schweden ist ein wunderbares Land im Norden von Europa. Dort gibt es unzählige Wälder und tiefe Seen. Je weiter man nach Norden fährt, desto weniger Städte und Dörfer gibt es. Und desto weniger Menschen. Viele Leute denken, dass in den tiefen Wäldern nur Rentiere und Elche hausen. Die gibt es natürlich auch. Aber keiner weiss, dass es ganz tief im Norden einen Elfenwald gibt. Dort leben alle möglichen Wesen: Richtige Zwerge, Elfen und Feen. Sie leben versteckt und zurückgezogen, wo es am einsamsten ist. Und man kann sie nur sehen, wenn man viel Fantasie hat und fest an sie glaubt. Aber nun höre meine Geschichte, die sich vor einiger Zeit auf Smallvettan zugetragen hat.
Smallvettan ist eine kleine Insel mit unzähligen Bäumen und Sträuchern mitten in einem tiefen See. Dort lebte einst Wilma, die kluge Waldfee. Jeder auf der Insel liebte sie, denn sie war wunderschön und immer sehr freundlich und hilfsbereit zu allen Lebewesen. Ihre beste Freundin war Gabi Glückskind. Die beiden Freundinnen waren unzertrennlich. Gabi konnte zwar keine Wünsche erfüllen wie ihre Freundin Wilma, doch sie hatte immer Glück. Noch nie im Leben war ihr etwas Schlimmes passiert: Sie war noch nie hingefallen oder hatte sich verletzt. Zum Zahnarzt musste sie auch nie und schon dreimal hatte sie bei der grossen Insellotterie gewonnen. Einmal eine Hängematte, beim nächsten Mal ein Zelt und beim dritten Mal ein Kanu. „Wie machst du das bloss, dass du immer gewinnst?“, fragte sie der kleine Zwerg Zino. Er hatte noch nie gewonnen, sein Backenzahn tat ständig weh und es gab keinen Tag, an dem er sich nicht irgendwie verletzte. Entweder er blieb mit seinem Bart irgendwo hängen oder er stolperte über alle möglichen Steine, so dass er hinfiel und Schürfwunden davon trug. „Ich weiss es nicht, ich habe einfach Glück! Mir passieren nie solche Dinge wie dir!“, antwortete Gabi fröhlich. Insgeheim fragten sich die Inselbewohner, ob es an der tiefen Freundschaft zu der Waldfee lag, dass Gabi immer und überall Glück hatte. Aber das traute sich natürlich keiner laut auszusprechen, denn bis auf einige Kleinigkeiten waren eigentlich alle im Elfenwald auf der Insel ziemlich glücklich.
Alle, bis auf einen. Der eine war kein Geringerer als König Karl. Er war nämlich seit Jahren in die bildhübsche Waldfee verliebt und hatte keine Idee, wie er ihr seine Liebe gestehen sollte, ohne ihre Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Er war sich nämlich nicht sicher, ob die Fee ihn auch liebte. Sie war zwar immer sehr nett und höflich zu ihm, aber das war sie zu jedem.
Wieder war ein Jahr vergangen, es wurde Frühling und der König blickte verliebt aus dem Schlossfenster in seinen Garten, in dem Wilma mit den Zwergen wie jedes Jahr im Frühling ein Lied einstudierte, das auf dem grossen Frühlingsfest im Elfenwald gesungen werden sollte. Wilmas grosse Leidenschaft war die Musik. Sie sang und trällerte den ganzen Tag vor sich hin und entzückte damit die Inselbewohner. Der Höhepunkt des Jahres war für sie das Einstudieren des Frühlingsliedes, was ihr immer sehr viel Freude bereitete. Doch dieses Jahr gab es einige Schwierigkeiten. Zino, der Zwergenanführer, sang besonders laut und falsch und Wilma schüttelte lächelnd den Kopf.
„Zino, so geht das nicht. Du musst ein A singen und kein H!“ Zino versuchte es noch einmal, doch es wollte nicht so recht klappen. Geduldig sang Wilma ihm den richtigen Ton vor. Doch Zino traf ihn wieder nicht. Zino sah sie traurig mit seinen grossen Zwergenaugen an.. „Zino, du musst Geduld haben und viel üben. Dann wirst du eines Tages den richtigen Ton treffen, da bin ich mir ganz sicher!“, erklärte Wilma freundlich und streichelte dem Zwerg liebevoll über die rote Zwergenmütze. Dem König wurde warm ums Herz. Die Waldfee schaffte es immer, Fehler sanft zu korrigieren, so dass niemand ihr böse sein konnte. Heimlich lauschte der König weiter den Proben. Plötzlich sprang Benno, ein sportlicher Baumelf, von einer Birke herab und verbeugte sich vor Wilma.
„Teuerste, ich kann den Solopart übernehmen!“, sagte er mit einer Verbeugung. Wilma war sichtbar erleichtert. „Das wäre fabelhaft. Dann könnte Zino im Hintergrund mit dem Chor singen!“ Zino war ebenso erleichtert wie Wilma und reihte sich fröhlich in den Chor ein. Wilma zählte bis drei und schon sangen alle wieder los. Das Lied hörte sich auch gleich viel besser an. Der König spürte einen Stich in seinem königlichen Herzen. Was, wenn sich Wilma in den schlanken Sänger verlieben würde? Das wäre nicht auszudenken … Er musste etwas unternehmen, und zwar schnell.
Aufgeregt lief er hin und her und kratzte seinen weissen Bart. „Was kann ich tun, um Wilmas Herz zu gewinnen?“, murmelte er vor sich hin. „Was kann ich bloss tun?“ Da klopfte es plötzlich an seine Tür. „Herein!“, rief er König in Gedanken. Der Gast war kein anderer als der Magier. „Max, du kommst gerade recht!“, rief der König erfreut aus und klatschte in die Hände.
„Ich brauche deine Hilfe …!“ Und dann erklärte er dem überraschten Freund, was ihn bedrückte. Max schwieg und hörte sich alles an. „Ich glaube, ich habe da so eine Idee!“, raunte er geheimnisvoll. Dann schnippte mit den Fingern. Tausend Sterne funkelten und es dampfte und zischte. Plötzlich hielt der Magier eine Tasse mit einem dampfenden Gebräu in der Hand.
„Trink das hier, Karl. Dann wirst du eine wunderbare Stimme bekommen und kannst Wilma durch deinen Gesang beeindrucken!“
„Aber, aber ich habe noch nie gesungen … meinst du wirklich, dass es klappen wird?“, fragte der König aufgeregt. „Ich denke schon. Du kannst nichts verlieren!“, überredete ihn der Magier. Der König trank den Becher in einem Schluck leer. Dann schüttelte er sich. Das Gebräu hatte nach einer Mischung aus ungewaschenen Socken und fauligem Blumenwasser geschmeckt. „Was hast du mir da angedreht? Wahrscheinlich bekomme ich jetzt am ganzen Körper irgendeinen juckenden Ausschlag oder grässliche Warzen mit Haaren dran!“, schrie er den Magier an. Doch da merkte er, dass seine Stimme einfach wundervoll klang. Selbst der Magier war über das Ergebnis erstaunt und sagte:„Nun geh hin zu deiner Waldfee und sing ihr dein Lied. Dann wird sie sich in dich verlieben.“
„Max, werde ich diese wundervolle Stimme für immer behalten?“, fragte der König sorgenvoll.
„Der Zaubertrank hält leider nur für 24 Stunden, dann brauchst du einen neuen!“, erwiderte der Magier. „Ich werde gleich in meiner Höhle einen Vorrat für dich anmixen, dann kannst du dir den Trank in Flaschen abfüllen und in deiner Vorratskammer lagern!“ Der König war wenig begeistert. „Heisst das, ich muss dann alle 24 Stunden dieses schreckliche Getränk trinken?“ Der Magier nickte nur und war in einer zischenden Rauchwolke verschwunden. Das tat er immer, wenn er eine Unterhaltung abschliessen wollte. Aufgeregt stürzte der König erneut zum Fenster. Die Probe war immer noch im vollen Gange und er musste mit ansehen, wie Wilma den Baumelf fröhlich anlächelte, als er sein Lied vortrug.
„Jetzt reicht es!“, grummelte der König und eilte in den Schlossgarten.
„Ich möchte auch an den Proben teilnehmen!“, verkündete er. Alle blickten ihn verwundert an. „Lieber König, leider habe ich alle Rollen schon besetzt!“, rief Wilma lächelnd aus.
Doch der König liess sich nicht beirren. Er sang einfach, was ihm einfiel. Weil er gerade zwei Enten auf dem Schlossteich sah, sang er: „Alle meine Entchen …!“ Die Zwerge, Benno und Wilma hörten überrascht zu. Obwohl es so ein einfaches Lied war, waren sie alle wie verzaubert. Wilma lief auf den König zu und gab ihm spontan einen Kuss auf die königliche Wange. „Ich kann noch mehr!“, rief er König erfreut, und weil er einen Vogel wegfliegen sah, trällerte er: „Kommt ein Vogel angeflogen …!“ Die Zwerge klatschten begeistert und Wilma küsste den König erneut. Erschrocken über ihre Tat verbeugte sie sich. „König, verzeiht!“ Der König lächelte. Sein Plan schien aufzugehen.
Benno betrachtete das Schauspiel misstrauisch. Was ging hier vor? Was war plötzlich mit dem König los? Warum benahm sich Wilma so komisch? Eigentlich hatte er vorgehabt, Wilma heute Abend einen Heiratsantrag zu machen, doch es schien fast so, als wollte der König seine Pläne durchkreuzen. Verstört lief Benno in den Elfenwald. Dieses Gesangstheater wollte und konnte er sich nicht länger mit ansehen. Ziellos rannte er immer tiefer in die dunkelsten Wälder der Insel. Plötzlich stand er vor einem grossen Berg: Der Höhle des Magiers. Der schien bei der Arbeit zu sein. Es dampfte und qualmte aus der Höhle und es roch einfach entsetzlich. Benno wollte gerade umkehren, da hörte er die tiefe Stimme des Magiers: „ Kröteneier, Suppengrütze, König trink von dieser Pfütze. Deine Stimme wird sehr rein, Wilma wird die Deine sein!“
Benno lief es eiskalt über den Rücken. Plötzlich wusste er, was hier für ein falsches Spiel gespielt wurde. Er musste Wilma warnen. Der Baumelf drehte sich um und rannte los. Doch in diesem Moment prallte er gegen ein Hindernis, das er mit sich zu Boden riss. Es war Gabi, die immer um diese Zeit im tiefen Wald Pilze sammeln ging. „Aua, ich habe mich verletzt!“, rief sie aufgebracht. So etwas war ihr noch nie passiert. Sie spürte plötzlich Schmerzen am ganzen Körper. Benno rappelte sich auf. „Entschuldigung, ich habe dich nicht gesehen!“, brachte er hervor. „Es tut mir so leid, wir müssen Hilfe holen!“
Inzwischen sang der König sein fünftes Lied. Diesmal war es „Ein Vogel wollte Hochzeit machen …!“ Wilmas Herz wurde ganz weich. Wie verliebt der König sie ansah … und was für eine wunderschöne Stimme er hatte! Wieso war ihr das früher nicht aufgefallen? Der König hatte sich vorgenommen, Wilma direkt nach diesem Lied einen Heiratsantrag zu machen. Er wusste, sie würde ihn nicht abweisen, denn in ihren blauen Augen glaube er unzählige Herzchen zu sehen. Doch plötzlich spürte Wilma, dass etwas nicht stimmte. Schöne Stimme hin oder her, ihre beste Freundin war in Gefahr. Weil sie eine Fee war, konnte sie das spüren. Es war dieses Kribbeln im grossen Zeh, das nichts Gutes bedeutete. Gabi war sicher etwas zugestossen.
„Ich muss die Probe absagen!“, rief Wilma unvermittelt aus und unterbrach das „Fidirallala“ des Königs. Die Zwerge und der König sahen sie überrascht an. „Gabi ist in Gefahr! Etwas ist passiert!“, schrie Wilma aufgebracht und schwebte blitzschnell davon. Der König blickte ihr verwundert nach und rief: „Wilma, so warte, ich kann dich doch begleiten …!“ Doch da war sie nur noch ein winziger Punkt im knallblauen Frühlingshimmel.
Es dauerte nicht lange, da hatte Wilma den Unglücksort erreicht. Sie sah einen aufgeregten Benno über ihrer Freundin knien, der vergeblich versuchte, Gabi zu helfen.
„Wilma – du kommt gerade recht, Benno hat mich umgerannt, ich bin gestürzt …!“, brachte Gabi hervor. „Ich habe überall Schmerzen, so etwas ist mir noch nie passiert!“ „Es ist alles meine Schuld!“, stammelte Benno aufgeregt. Doch die Waldfee hatte ihre Freundin bereits mit dem Feenstab berührt und die Schmerzen waren augenblicklich verschwunden. Gabi lächelte schon wieder. „Da habe ich wieder Glück gehabt!“, stellte sie fröhlich fest und rappelte sich auf. „Tausend Dank, Wilma!“ Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, berichtete Benno der Waldfee, was er eben vor der Höhle des Magiers erlebt hatte und Wilma konnte es kaum fassen. Der König hatte seine Stimme mit einem Zaubertrunk weich gemacht. Beinahe wäre sie auf diesen Trick hereingefallen! „Ich bin so froh, dass du das herausgefunden hast!“, sagte sie und umarmte Benno. Benno wurde so rot wie eine Tomate.
„Da ist noch etwas, was ich dir schon lange sagen wollte …!“, stotterte Benno. Er wusste selber nicht, woher er plötzlich den Mut nahm, als er weitersprach. „Ich bin irgendwie in dich verliebt!“ Wilmas Herz klopfte ganz wild und sie bekam weiche Knie. Dann lächelte sie und die beiden fielen sich in die Arme und küssten sich. Gabi klatschte in die Hände: „Und ich hatte wieder Glück, weil ich bei diesem magischen Moment dabei sein durfte!“
Statt des Frühlingsfestes gab es dieses Jahr eine grosse Hochzeit im Elfenwald. Wilma und Benno hatten alle Inselbewohner eingeladen. Der König konnte nicht begreifen, was eigentlich passiert war. Alles war so gut nach Plan gelaufen …
und dann hatte Gabi diesen komischen Unfall gehabt. Ausgerechnet in dem entscheidenden Moment war ihr etwas zugestossen.
Während die anderen ausgelassen feierten, sassen der König und der Magier hoch oben auf der Schlossmauer und sahen dem Fest gedankenverloren zu. Die Sonne ging gerade wie ein glühender Feuerball hinter einer Bergkuppe unter und tauchte die Landschaft in ein wunderbares Rot.
„Das ist doch alles nicht mit rechten Dingen zugegangen!“, beschwerte sich der König bei seinem Freund, dem Magier, als er wehmütig auf das Hochzeitsfest im Tal hinabschaute.
„Ich habe auch keine Erklärung!“, seufzte der Magier. „Aber die Liebe ist eben stärker als alle Zaubermittel der Welt! Dagegen ist kein Kraut gewachsen!“
Dann tranken sie beide einen Becher Sockengebräu und sangen mit wunderschönen Stimmen:
„Einer ist immer der Loser …!“
ENDE