Von Matthias Wiemeyer 26. Januar 2010
Im Wettbewerb “Postkarten-Texte 2009” ging es um das Thema “Jahresrauschen”. Die besten zehn Texte wurden auf Postkarten gedruckt.
Die Gewinner/innen
Rang | Postkarten-Text | Autor/in | ||
1. Platz | Eben dies | Kuno Roth | ||
2. Platz | Geburtstagsflattern | Rita Roedel | ||
3. Platz | Geburtstag, gespiegelt | Margrit Weber | ||
Kategorie U25 | Lass dich nicht berauschen... | Carmen Lebeda | ||
Kategorie U18 | Siebzig | Marc Kaufmann | ||
Kategorie U16 | Ich erinnere mich | Julia Schneider |
4. - 12.. Platz (gleichrangig)
Text | Autor/in | |
SOMMERTAUMEL | Frauke Bareiss-Ohloff | |
Die goldene Hochzeit | Inge Büsser | |
Siebzig | Marc Kaufmann | |
Und einmal... | Jens Nielsen | |
Was ich dir wünsche? | Manuela Schreiber | |
Die Jubilarin | Marion Eve Stöckli | |
An einem anderen Geburtstag | Franziska Ternetz-Sauter | |
Stunden... | Barbara Traber | |
Blust-Fahrt | Angela Zimmermann | |
Die Preise
1. Preis: Ein Pelikan Füllhalter “Ductus” im Wert von CHF 465.-
2. Preis: Ein Schreibszene-Gutschein im Wert von Fr. 300.-
3. Preis: Ein Büchergutschein im Wert von Fr. 100.-
Spezialpreise:
U25: Der/die Bestplatzierte erhält einen Bücher-Gutschein im Wert von CHF 100.-
U18: Der/die Bestplatzierte erhält einen Bücher-Gutschein im Wert von CHF 50.-
U16: Der/die Bestplatzierte erhält einen Bücher-Gutschein im Wert von CHF 50.-
Die Texte
Eben dies
Während letzte Schwalben ihre Runden drehn,
tausend Rottöne am Himmel ineinander übergehn,
frag ich mich in dieser Stunde,
was soll das Leben denn im Grunde,
als eben dies zu sehn?
Geburtstagsflattern
Die Tochter sitzt allein auf Mutters Sofa, die Mutter inmitten ihrer Verwandten in ihrem Geburtstagsalbum auf dem Tischchen. Die Tochter blättert von hinten nach vorn, Seite um Seite gegen die Zeit.
Da wird die Mutter zusehends jünger. Ihre papieren zerknitterte Haut glättet sich, die wirren weissen Haare legen sich in weiche, silberne Wellen, der dünne Strich ihrer Lippen wölbt sich sanft unter rosa Lippenstift.
Auf der vordersten Seite trägt Mutter das taubenblaue Kostüm mit dem weiss gestärkten Blusenkragen. Auf dem Gabentisch blüht ein Forsythienzweig. Da ist die Mutter so alt wie die Tochter jetzt. Ob dieser das Taubenblaue auch so gut stehen wird?
Die Tochter öffnet das Fenster. In Mutters Garten blühen die Forsythien. Da fährt ein Märzluft zwischen die Albumseiten, Mutters Geburtstage flattern vorüber. Mit der Zeit. Im Windkino wird die Mutter lebendig, hebt ihren smaragdenen Blick, gestikuliert mit schönen schlanken Händen, ihre Lippen lösen sich. Sie erzählt. Soviel wie nie im Leben. Die Tochter hört zu, wie nie zuvor.
Endlich schliesst die Tochter das Album wieder. Zeit, Mutters Wohnung zu räumen.
geburtstag, gespiegelt
himbeersirup in
sonnenwarmer veranda
wicken blau und pink
könig babar thront
auf dem puppenkoffer – die
oma ist gerührt
nun riecht’s nach meister
proper und mattem kaffee:
fest im altenheim
der notfallkoffer
birgt mirabellenschnaps (plus
viel gelassenheit)
Ohne Titel
Und einmal ging ich in einer Hotelsuite im Bademantel auf und ab.
So also fühlen sich Menschen, die am Morgen nicht gleich ihre Strassenkleider anziehen sondern einen Bademantel. In ihm gehen sie etwas herum, setzen sich in der Küche, trinken Kaffee, schauen aus dem Fenster oder blättern eine Zeitschrift durch, bereiten ein Frühstück zu, für ein Kind, wenn es eines hat, für eine Frau, wenn sie noch nicht getrennt oder verlassen sind. Solche Menschen wissen, wie man feiert. Sie feiern mit dem Tragen eines Bademantels eine Zwischenzeit. Weil das Leben wartet mit seinem Überfall auf sie, solange sie ihn tragen. Der Bademantel verlängert den nächtlichen Waffenstillstand. Denn die Haut, als Hüterin unseres Innern, als Verteidigerin gegen alles was an uns heran will kaum sind wir erwacht, diese Haut hat Pause solange ein Bademantel sie umgibt. Und die Menschen die ihn morgens tragen, so wusste ich jetzt, erleben in einem Bademantel etwas, was sie in keinem andern Kleidungsstück erleben können: Die Illusion, dass die Grausamkeit des Lebens, auch die eigene, auch die gegen sich selbst, dass alles Grausame verloren hat.
Blust-Fahrt
Mach schnell
vor dem nächsten Regen
von kurzer Dauer
ist die Pracht
Wattebäusche auf den Bäumen
auf einem Teppich
Löwenzahngelb
in saftigem Grün
satt sehen
am bunten Wunder
jedes Jahr neu
riech es
fühl es
Blütenzauber
mit Verfalldatum
Ohne Titel
stunden
und tage
im frühling
im sommer
im herbst
sogar im winter
wie gemacht
sich einen vorrat
an erinnerungen anzulegen:
ein polster des glücks
Die goldene Hochzeit
Die Vorbereitungen liefen schon seit Monaten. Die goldene Hochzeit von Marianne und Siegfried sollte alle ihre bisherigen Hochzeitstage überstrahlen.
Der Partyservice war bestellt, die Einladungen verschickt, die Blumen arrangiert.
Marianne war glücklich. Es würde der schönste Tag in ihrem Leben werden.
Sie erinnerte sich an ihren Hochzeitstag. Siegfried gross, attraktiv und unbesiegbar. Er würde sie beschützen.
Die kleine feingliedrige schüchterne Marianne hatte die Liebe ihres Lebens gefunden.
Seither waren die Jahre dahin gerauscht. Sie hatten zwei Söhne grossgezogen.
Auch diese würden mit ihren Ehefrauen zu den Gästen gehören.
Einer würde leider nicht dabei sein ihr Siegfried! Gestern Abend hatte er das Zeitliche gesegnet.
Doch sie würde sich doch von so einem banalen Zwischenfall nicht das grosse Fest verderben lassen!
An einem anderen Geburtstag, wenn ich noch älter werde als heute …
Werde ich dann meine Runzeln knistern hören können? Klängen sie seidenpapierig, krümelig, herbstblätterig, vielleicht wie zwischen Fingern hin und her rollende kubanische Zigarren?
Wird mich die Brüchigkeit meiner Greisenstimme einmal überraschen können? Oder wird sie mir so selbstverständlich sein, wie es mir meine Kinderstimme war?
Bleiben meine Träume bunt wie eh und je oder ergrauen sie gemeinsam mit meinen Haaren?
Werden mich leuchtende Farben stören können wie Kinderlärm vor dem Einschlafen? Schnarche ich dann dröhnend beim Mittagsschlaf wie der grossmutterbauchige Wolf im Rotkäppchen?
Und falls ja, wann werde ich für immer ausgeschnarcht haben?
Schnell, schnell, hastig - eins, zwei, drei, abgrundtief Luft holen, die überschaubare Anzahl Kuchenkerzen auspusten, alle anderen Gedanken mindestens australienweit wegpusten, ausser:
HAPPY BIRTHDAY!
Die Jubilarin
Sie hob das Glas und schlug mit dem langen Fingernagel daran, der glutrot leuchtete. Dieser Klang reichte, die Gesellschaft zur Ruhe zu bringen. Meine Lieben, hörte man ihre heisere Altstimme. Meine Lieben, jetzt bin ich doch tatsächlich neunzig. Noch immer bohrte ihr Ältester in der Nase und seine Tochter kaute Fingernägel. Ihr Blick ging weiter in die festliche Runde der Familie. Der Hagere dort, ihr dritter Ex war soviel sie wusste bankrott. Er war ohne Einladung gekommen, schon leicht angetrunken, leicht schwankend. Alle schauten sie erwartungsvoll an. Ihre Ansprache musste jetzt zügig geliefert werden, sie spürte, dass es eilte. Meine Lieben, durch euch ist mein Leben spannender, würziger gewesen. So hebe ich mein Glas auf euer Wohl: das Gift, beginnt zu wirken. Ich werde das Ende meiner Rede nicht überleben, mein Testament ist hinfällig: es gibt nichts mehr zu erben. Gottlob kann ich gehen, denn ein Leben im Armenhaus hätte ich nicht ertragen. Vergesst das Geld, vergesst mich nicht! Sie hob das Glas an die Lippen, es fiel splitternd zu Boden, und die alte Dame lag in ihrem eleganten Kostüm reglos am Boden.
Ohne Titel
„Siebzig“, krähte Walter. „Siebzig“, immer wieder „Siebzig“, während ihm der Speichel, den Frau Aemisegger schon längst hätte wegwischen sollen, aus dem Mund lief. Frau Aemisegger, seine Pflegerin, kam jeden Donnerstag, seit Walter begonnen hatte, sich und seinen Körper zu vergessen. Er hatte sie extra eingeladen zu seinem grossen Jubiläum, nur sie und er, und ausserdem war heute ein Donnerstag. Während Frau Aemisegger gerade Streit mit ihrem Freund hatte, oder fern sah oder sich die Zähne putzte, wunderte sich Walter, weshalb er das Alter nicht hatte kommen sehen. Er war sehr erstaunt darüber, dass er sich nicht genau erinnern konnte, wieviele seiner Körperteile jetzt einige Jahre jünger waren als sein Kopf. Walter hätte gerne die siebzig Kerzen ausgeblasen, die er im Laufe der letzten Woche auf seinen Kuchen gesteckt hatte, aber er sass zu weit davon entfernt. Er wusste, dass jeder Mensch nach der Bibel siebzig Jahre zu leben hatte und deshalb war es Zeit für ihn, zu gehen. Während alle anderen ausgegangen waren, leuchtete ihm noch ein Kerzlein den Weg.
SOMMERTAUMEL
In Düften ertrinken
den Bienenstaub
von den Flügeln blasen.
Margaritenweiss
in Haare flechten
Lorbeeren damit ernten.
Rosenkelche
in Freundschaft tauchen.
mit Schehdorn verzieren.
Glockenblumengesumme
Raupengebrumme
ein Duett im Beet nebenan.
Wiesengemälde und Sommergemurmel.
Kornblumenblaue Trunkenheit
Elfen springen durch Lichtreifen.