Geheimtipp für Spannung: Die ahnungslose Heldin

Wer Geschichten schreibt, machts gerne spannend. Spannend ist das Gegenteil von langweilig und das Gegenteil von langweilig brauchen wir, um die Aufmerksamkeit unserer Leser:innen zu betüddeln.

Das Grundrezept: Figur und Konflikt

Nehmen wir zum Beispiel die Komissarin Angela Koldewei. Die hat das Herz am rechten Fleck, eine Schwäche für gutes Essen, den Ehemann gerade eingebüsst und das Söhnchen in der Kita. Sie ist der Wahrheit verpflichtet und doch ein bisschen parteiisch, weil die kleinen Leute ihre geheimen Favoriten sind. Für die setzt sie sich ein, obwohl die grossen Leute es nicht gerne sehen, wenn Angela ihnen auf die Füsse tritt. Auch ihr Chef, Hauptkommissar Bünzli, ist keine Hilfe. Der buckelt nach oben und tritt nach unten.

Sie sehen: Angela Koldewei ist eine richtige Heldin. Sie kämpft für das Gute, auch wenns der Karriere schadet. Obendrein muss sie ganz allein für den kleinen Martin sorgen, der seine starke Mama vergöttert, aber es doch lieber sähe, wenn sie öfter Zeit für ihn hätte.

Das ist eine sympathische Heldin. So eine brauchen wir, wenn es spannend werden soll. Wir mögen die Angela und deshalb sorgen wir uns um sie, wenn sie sich mit der Mafia anlegt. Was soll denn aus Martin werden, wenn die Mafiosi sie aus dem Weg räumen? Den Bünzli, den können sie haben; um so einen Kriecher ist es nicht schade. Aber die Angela, die liegt uns am Herzen.

Halten wir erst einmal fest: Wenn Sie Spannung erleben wollen, brauchen Sie zuerst eine Figur, die Ihnen am Herzen liegt, damit es Ihnen nicht egal ist, was dieser Figur zustösst.

Dann brauchen wir natürlich einen Konflikt. Das ist in Krimis einfach. Die Kommissarin findet eine Leiche. Sie will den Mörder finden, aber der Mörder will nicht gefunden werden. Fertig ist der Konflikt.

Sobald wir eine sympathische Heldin und einen Konflikt haben, gibt es verschiedene Wege zum Aufbau von Spannung. Zum Beispiel:

• Überraschung: Unerwartete Ereignisse erzeugen Spannung. Was ich ohnehin erwarte, macht mir kein Herzklopfen.

• Demonstration: Die Mafia räumt einen anderen Widersacher aus dem Weg. Danach wissen unsere Leser:innen, was Angela blühen könnte, wenn sie sich mit diesen Leuten anlegt.

• Setting: Eine dunkle Gasse, wolkenverhangener Himmel und natürlich Sauwetter – das hilft der Spannung. Den blauen Himmel sparen wir fürs Happy-End auf.

• Sprache: Anschauliche, detailreiche Schilderungen, die allen Sinnen etwas bieten, bauen das Bühnenbild für spannende Szenen. Und wenn es dann um die Wurst geht, steigt das Tempo mit kurzen Sätzen, starken Verben und schnellen Schnitten.

Diese Tipps finden Sie in jedem Schreibratgeber. Aber von mir bekommen Sie heute einen besonders raffinierten, den Sie vielleicht noch nicht so oft gehört haben.

Spannung durch Informationsvorsprung

Nehmen wir an, Szene 13 des neuen Angela-Koldewei-Krimis (Arbeitstitel: Der rätselhafte Tod des Anwalts Claudio Krone) beschreibt ein Gespräch zwischen Mafiaboss Canzone und seinem «Mann fürs Grobe» Massimo. Hintergrund: Anwalt Krone hatte ein paar Mal für Canzone gearbeitet (Arbeitsverträge, Betreibungen, langweiliges Zeug). Dabei bekam er irrtümlich die «schwarze Buchhaltung» zu sehen, in der fein säuberlich aufgeschrieben war, wie einträglich Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Hehlerei wirklich sind. Mit diesem Wissen konnte Canzone den Anwalt unmöglich am Leben lassen. Also musste Massimo sich «kümmern». Jetzt ist Massimo zurück und meldet den Auftrag als erledigt. Allerdings meldet er auch, dass Angela Koldewei den falschen Leuten die richtigen Fragen stellt und die Situation allmählich brenzlig wird. Es folgt eine längere Debatte, an deren Ende Canzone Massimo beauftragt, sich auch um Angela zu «kümmern».

Angela weiss davon nichts. Sie ahnt noch gar nicht, wie nahe sie der Wahrheit schon gekommen ist. Aber wenn sie jetzt durch eine dunkle Gasse läuft und hinter sich Schritte hört, machen wir uns Sorgen. Sie dreht sich um. Der Verfolger hält an und interessiert sich plötzlich für die Auslagen im Brautmode-Geschäft. Er trägt einen Trench mit hochgeschlagenem Kragen und eine dunkle Sonnenbrille, obwohl es bereits dämmert. …

Den Rest können Sie sich denken. Keine Sorge: Sie wird ihm dieses Mal entwischen. Aber wir sind gewarnt: Canzone schreckt vor nichts zurück.

Die Spannung beginnt nicht erst im Moment der Verfolgung. Sie beginnt, sobald wir wissen, was Canzone plant. Wir wissen mehr als Angela. Wir möchten ihr zurufen: «Gib acht, sie haben es auf dich abgesehen.» Aber Angela kann uns nicht hören und schlendert unbekümmert die Strasse entlang.

Diesen «Spannungs-Trick» werden Sie in vielen guten Krimis finden. Wir Leser:innen kennen schon ein entscheidendes Detail, das der Hauptfigur noch verborgen ist. Wir sehen das Unheil kommen, von dem die Kommissarin noch nichts ahnt. Und weil sie völlig ahnungslos ist, müssen wir befürchten, dass sie völlig unvorbereitet ins Messer läuft.

Die Methode kann man nicht nur in Krimis benutzen. Auch in Liebesgeschichten oder Komödien funktioniert sie prima (Sie weiss, dass er sie betrügt, aber er weiss noch nicht, dass sie es weiss …).

Wenn Sie wollen, machen Sie daraus eine Übung für kreatives Schreiben: Sie kennen ja jetzt den Anfang der Geschichte. Schreiben Sie die Szene, in der Angela dem Anschlag Massimos nur knapp entgeht und schreiben Sie sie richtig spannend.

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Danke.

Das wars für heute.

Herzliche Grüsse
Matthias Wiemeyer